EG demonstriert Gipfel-Eintracht

Am Wochenende in Lissabon sollen die strittigen Fragen ausgeklammert werden: Wie geht es weiter mit Dänemark? Wohin ziehen die attraktiven EG-Institutionen? Wie groß wird das Budget?  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Es gipfelt weiter. Nach dem Erdgipfel in Rio und vor dem Wirtschaftsgipfel in München trifft sich dieses Wochenende in Lissabon der Europäische Rat. Eine Menge unverdaulicher Dossiers haben die EG-Kommission, die Außenminister, aber besonders die dänischen EG-Gegner den zwölf Staats- und Regierungschefs auf den Konferenztisch gepackt: Nicht nur der Terminplan für die Erweiterung der Gemeinschaft soll festgelegt werden. Der Präsident des Europäischen Rats, der portugiesische Ministerpräsident Anibal Cavaco Silva, möchte auch die Aufstockung des EG-Haushalts „grundsätzlich klären“. Darüber hinaus soll die leidige Sitzfrage der neuen EG-Institutionen wie der Europäischen Zentralbank oder der Umweltagentur gelöst werden. Am meisten Kopfzerbrechen bereitet allerdings — auch nach dem irischen „Ja“ zu Maastricht — die dänische Ablehnung der Europäischen Union.

Zwar sind sich die EG-Chefs inzwischen grundsätzlich einig, in den restlichen Ländern mit der Ratifizierung der Maastrichter Verträge fortzufahren als wäre in Dänemark nichts geschehen. Doch wie dies völkerrechtlich abzusichern ist, darüber debattieren noch ganze Heerscharen von Juristen. Weil in den Maastrichter Verträgen der Fall Dänemark nicht vorgesehen ist, behelfen sich beispielsweise die Völkerrechtler des ECU-Instituts in Lyon mit der Wiener Konvention über Vertragsrecht. Nach dem dort festgehaltenen „demokratischen Prinzip“ könnten ein oder mehrere Mitgliedstaaten die große Mehrheit nicht davon abhalten, einen Vertrag unter sich in Kraft treten zu lassen. Der Vertrag müßte aber nachgebessert werden.

Dies könnte in Form eines Zusatzprotokolls geschehen, das von allen Mitgliedstaaten einschließlich Dänemark bis Ende des Jahres angenommen werden müßte. Es würde den ratifizierungsunwilligen Ländern erlauben, der Union später beizutreten und in der Zwischenzeit einen Beobachterstatus einzunehmen. Wie dieser allerdings damit zu vereinbaren ist, daß die dänische Regierung ab Anfang nächsten Jahres für sechs Monate den Vorsitz im EG- Ministerrat übernimmt, ist offen. Ebenso unklar ist ein anderer Vorschlag, eine nachträgliche Änderung des Paragraphs, der vorschreibt, daß alle zwölf Mitgliedsstaaten den Vertrag ratifizieren müssen. Auf welche Zahl sollte man sich einigen — elf, zehn oder neun?

Um Zahlenspiele ganz anderer Art geht es, wenn sich die EG-Chefs mit dem Haushaltsproblem beschäftigen. EG-Kommissionspräsident Jacques Delors hatte vorgeschlagen, das Budget um rund 30 Prozent von derzeit 135 auf knapp 180 Milliarden DM zu erhöhen. Damit wollte er vor allem die Strukturfonds zur Förderung wirtschaftlich benachteiligter Regionen und Länder in der EG aufstocken. Zum selben Zwecke war in Maastricht zusätzlich ein „Kohäsionsfonds“ beschlossen worden, ohne allerdings die Höhe der finanziellen Mittel festzulegen. Logischerweise sind vor allem die ärmeren Länder der EG wie Spanien, Portugal, Irland und Griechenland an der Erhöhung der Fonds um fast 50 Prozent interessiert. Die Regierungen von Deutschland, Großbritannien und Frankreich hingegen halten die Forderung für völlig überzogen. Um jedoch das Image nicht durch finanzpolitische Quereleien weiter zu verschlechtern, will man die Entscheidungen auf den nächsten EG-Gipfel Ende des Jahres im schottischen Edinburgh verschieben.

Bemühte Einigkeit besteht auch in der Frage der Erweiterung der EG. Bei ihrem Treffen letztes Wochenende in Luxemburg einigten sich die Außenminister darauf, Verhandlungen mit den EFTA-Ländern Österreich, Schweiz, Schweden und Finnland erst zu beginnen, wenn die Maastrichter Verträge ratifiziert und das Budgetproblem gelöst sind. Lediglich der britische Außenminister Hurd möchte früher mit den Verhandlungen beginnen.

Ein Zieldatum für die Beitritte gibt es nicht, dafür aber eine Bedingung: die Beitrittskandidaten müssen die in Maastricht ausgehandelte Europäische Union voll akzeptieren. Konsequenzen hat dies vor allem für die neutralen Länder, da die Europäische Union sich auch als Militärgemeinschaft versteht.

Solange es bei diesen vier oder mit Norwegen fünf Ländern bleibt, sehen die EG-Chefs keine Notwendigkeit für eine Reform der politischen Strukturen der Gemeinschaft. Delors hatte vorgeschlagen, die EG in einen föderalen Bundesstaat zu verwandeln, in dem die Kommission die Keimzelle einer europäischen Regierung bilden und der entscheidende Ministerrat zu einer zweiten Kammer ähnlich dem Bundesrat neben dem aufgewerteten Europaparlamet degradiert würde. Weil dies ihre Machtposition schmälern würde, lehnen mit Ausnahme der Bundesregierung alle Regierungen den Vorschlag ab. Wohl auch deshalb werden die Beitrittswünsche der anderen faktischen oder potentiellen Bewerber wie die Türkei, Zypern, Malta, Polen, Ungarn und die CSFR von der EG weiter mit spitzen Fingern behandelt. Entscheidungen mit mehr als 20 Mitgliedern — darin sind die Regierungschefs mit Delors einig — könnten mit den vorhandenen Strukturen nicht mehr bewältigt werden.

Wie schwierig schon jetzt die Entscheidungsfindung ist, zeigt die Endlosdebatte über die Sitzverteilung der neuen EG-Institutionen: ob die Europäische Zentralbank von Frankfurt oder London aus wirken, die vor drei Jahren beschlossene Europäische Umweltagentur in Kopenhagen ihren Stammsitz einrichten wird; ob die Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments ein für allemal in Straßburg oder vielleicht doch lieber in Brüssel abgehalten werden. Dieser Dauerstreit sollte auf dem EG-Gipfel am Wochenende abgeschlossen werden. Allein — eine Einigung ist nicht in Sicht, dafür aber der nächste Gipfel in Edinburgh, wo sich die hohen Herren erneut mit diesen Fragen beschäftigen werden.