„Entweder wir oder der serbische Faschismus“

Der kroatische Gegenangriff in Bosnien-Herzegowina hat schon begonnen: In der „Tiger-Brigade“ kämpfen Möchtegern-Revolutionäre zusammen mit Rambo-Typen für die „Befreiung des Hinterlandes von Dubrovnik“  ■ Aus Popovopolje R. Hofwiler

Sie haben im Länderdreieck Kroatien — Bosnien — Montenegro ihre Stützpunkte. Sie operieren um Dubrovnik, Trebinje und... Man darf es nicht öffentlich aussprechen, sie überqueren auch die grüne Grenze zu Neu-Jugoslawien. „Der Feind zwingt uns dazu“, meint Kommandant Tomislav, „Angriff ist die beste Verteidigung.“ Die Einnahme der bosnischen Serbenenklaven um Trebinje, das ist das Ziel der „Tiger-Brigade“. Sie nennen es: „das Hinterland von Dubrovnik befreien“. Und meinen damit, Teile des südlichen Bosniens einem vergrößerten Kroatien einzuverleiben. Oder gleich ganz Bosnien? Der Kommandant lacht: „Es lebe die Drina.“

Die „Tiger-Brigade“ ist die offizielle Eliteeinheit Kroatiens. In ihr sind Kämpfer der „ersten Stunde“, Möchtegern-Revolutionäre, Emigrantensöhne, Söldner aller Länder, Draufgänger und Rambo-Typen, die sich beweisen wollen. Ein „Tiger“ ist im heutigen Kroatien ein angesehener Mann.

Kriegführen ist für die „Tiger“ eine Arbeit

Keine Musikwunschsendung im kroatischen Radio, in der Frauen nicht allen „Tigern“ an der Front Kampferfolg wünschen. Und die „Tiger“ sind sich ihrer Stellung bewußt, halten sich für das Befreiungskommando schlechthin. Auch wenn sie manche Schlacht verloren haben, sehen sie doch den „Endsieg“ kommen: die Befreiung von Sarajevo, Banja Luka, Knin und als Krönung Vukovar sowie eine Grenze entlang der Flüsse Drina und Donau. „Erst wenn der letzte serbische Soldat aus Kroatien und Bosnien vertrieben ist, werden wir die Hände in den Schoß legen“, sagt Gefreiter Domogoj. Doch der 21jährige aus Zagreb gibt sich keinen Illusionen hin: „Das kann Jahre dauern.“

Er ist nicht der einzige, für den Kriegführen eine Arbeit ist, die man erfolgreich zu beenden hat — mit Gott, Partei und Vaterland an seiner Seite. Auch am Kommandozelt finden sich alle drei Symbole. Eine kroatische Fahne weht neben einem Emblem Bosniens, eine weitere rekelt sich über den Kommandotisch als Tischdecke. Darauf steht eine kleine Büste des kroatischen Präsidenten Tudjman, daneben ein Jesuskreuz. Bevor sie in den Kampf ziehen, sprechen die 70 Mann hier ein Gebet, geloben dem Präsidenten und schwören noch einmal auf die Fahne. Ordnung und Disziplin werden im Feldlager großgeschrieben. Es gibt Ränge und Tapferkeitsgrade, eine Lagerordnung regelt den Alltag. Ansonsten gilt ein Guerillakonzept aus dem Zweiten Weltkrieg. Verschwiegenheit ist oberste Pflicht. Über Einsätze, Schlachterfolge und Verbindungen redet man nicht.

Selbst der Familienname ist Geheimnis. Jeder Kämpfer hat sich einen Spitznamen zugelegt und verrät weder Herkunft, Beruf noch Alter. Erst mit dem Tod fällt das Schweigen. Dann erfähren die Truppe und die Angehörigen, wer sich hinter dem „Tiger“ versteckte. Ein Schutz für alle Seiten. So können sich Verbrecher ebenso in die Reihen einreihen wie Minderjährige. Jeder der bereit ist, für die kroatische Seite zu kämpfen, ist willkommen. Männer aller Herren Länder ziehen in diesen Kampf. Der 19jährige Dominique Gaie aus Lyon ebenso wie der polnische Afghanistankämpfer Bogdan Novak. Beide starben kürzlich als „Helden Kroatiens“, und beide werden nun von den „Tigern“ als besonders mutige Krieger verehrt. — Besucht man eines dieser „Tiger“- Camps, kommt es einem lächerlich vor, wie das offizielle Zagreb das aktive Eingreifen kroatischer Verbände in Bosnien abstreitet. Jeder Soldat, mit dem man spricht, sagt unumwunden, Kroaten und Muslimanen müßten eine „konföderative Einheit“ bilden. Doch sie argumentieren nicht wie der Ustascha-Verehrer und Großkroate Dobrislav Paraga, der einen Staat möchte mit Grenzen wie während des Zweiten Weltkrieges. Auch vom faschistischen Staat des Ustascha-Führers Ante Pavelic distanzieren sie sich. Und dennoch: „Als die ersten Schüsse in Sarajevo fielen, war mir klar, jetzt wollen die Serben Bosnien zerstückeln, wie zuvor Kroatien“, erzählt der Kommandant. Seine einfache Schlußfolgerung: „Nur wenn Bosnien befreit ist, lassen sich die besetzten Territorien Kroatiens zurückerobern.“ Für ihn steht außer Frage, die UNO-Schutzzonen in Kroatien dürfen niemals an Serbien fallen. Um dies zu verhindern, muß das Schlachtfeld weit vorgelagert werden — bis an die Drina.

„Zum Dank gibt uns Mujo die Herzeg.“ So drückt es der einfache Soldat aus. Für Darko aus Mostar sind alle Muslimanen „Mujos“, und Bosnien-Herzegowina existiert für ihn nur als geographischer Begriff. „Herzeg“, so Darko, das sei der südliche Teil einer Landschaft, die eigentlich Kroatien gehört: das Hinterland von Dubrovnik entlang der Neretva einschließlich Mostars. Darko gibt zu, daß er nichts von Politik verstehe. Doch für ihn ist klar, Grenzen lassen sich im heutigen Europa verschieben. Da die Serben damit begonnen hätten, habe er als Kroate das Recht, zurückzuschlagen: „Wer den Krieg anzettelt und verliert, der verliert auch ein Teil von seinem Territorium“ — Soldatenlogik der „Tiger“. Dabei beten die Elitekämpfer nur das nach, was in den kroatischen Zeitungen steht. In Magazinen wie dem 'Slobodni tjednik‘ oder 'Globus‘ werden die „Tiger“ glorifiziert, als Kämpfer „für die Freiheit der Konföderation Bosnien — Kroatien“. Diese Blätter wußten schon vor Wochen von einem kroatisch- bosnischen Beistandspakt gegen Serbien und propagierten die staatliche Einheit Bosniens mit Kroatien. Wo immer die „Tiger“ hinkommen, sie fühlen sich „zu Hause“ in Kroatien. In den befreiten Gebieten nördlich von Dubrovnik gilt längst nur noch der kroatische Dinar als offizielles Zahlungsmittel. Beim Telefonieren sind Bosnien und Kroatien Inland, Serbien, Slowenien und andere Staaten bereits Ausland.

Wo gibt es da noch die staatliche Souveranität Bosniens? Im Popovo- Tal, im Hinterland von Dubrovnik, zumindest nicht. Die serbische Bevölkerung wurde vertrieben, ging sie nicht freiwillig, wurden kroatische und muslimische Frauen an „sichere Orte“ evakuiert und alle Männer rekrutiert, zu Einheiten, die anscheinend selbständig agieren. Insgesamt sollen neben „rein“ bosnischen Bürgerwehren noch 16 kroatische Brigaden in Bosnien agieren. Das behauptet zumindest die serbische Propaganda.

Ob es jedoch eine deutliche Trennung zwischen kroatischen Brigaden, Bürgerwehren und Privatarmeen gibt, ist mehr als fraglich. Die Übergänge sind fließend. Die „Tiger“ drängen jeden, der sie besucht, bei ihnen mitzukämpfen. Auch darin unterscheiden sich „Tiger“ nicht von „Cetniks“, kroatische Soldaten nicht von serbischen. Wer ablehnt, ist ein Feigling, ein Verräter. Kommandant Tomislav spricht es offen aus: „Bosnische Männer werden alle rekrutiert, wo kämen wir hin, wenn wir ihnen einen Flüchtlingsstatus zusprechen würden.“

Ibrahim, ein Albaner, ist nicht der einzige, der folgende Geschichte erzählt: Als die Kampfhandlungen Anfang März in Mostar ihren Anfang nahmen, geriet er zwischen die Fronten. Er mußte sich entscheiden, entweder auf seiten der Serben oder auf seiten der Muslimanen und Kroaten zu stehen. „Es war keine freie Entscheidung, aber es war klar, die kroatischen Truppen standen mir näher“, erzählt Ibrahim, „und dann waren es noch die ,Tiger‘, da war es doch klar, da mache ich mit.“ Eine andere Wahl hatte der albanische Konditormeister auch gar nicht. „So lerne ich eben das Kriegshandwerk— ich denke, ich kann es gebrauchen.“ Der Albaner mag recht haben, in seiner Heimat, dem Kosovo, stehen die Zeichen auf Krieg. Eine Rechtfertigung auch für Kommandant Tomislav: „Eines Tages wird man es zu schätzen wissen, daß wir Kroaten den serbischen Faschismus bezwingen.“ Das lehrt er auch seinen Leuten, denen er einbleut, man solle es nicht so ernst nehmen, wenn sich westliche Politiker darüber empören, daß kroatische Einheiten in Bosnien nach Landgewinnen schielen.

Die Zahl der „Freiwilligen“ wächst

Der Kommandant: „Erzählen Sie es der Welt, die ,Tiger‘ befreien den Balkan vom Faschismus. Die Menschen werden es uns danken.“ Bis es so weit sei, ginge der Kleinkrieg in den Bergen Bosniens weiter. Auch wenn der kroatische Präsident am Freitag ankündigte, die Hälfte der kroatischen Streitkräfte würde demobilisiert, sieht man davon um Dubrovnik wenig. Die Zahl der „Freiwilligen“, die nichts mehr zu verlieren haben und in den Krieg ziehen, wächst. Ibrahim, der Albaner: „Wer bisher noch nicht zu den Waffen gegriffen hat, der wird es jetzt tun. Frieden ist im ehemaligen Jugoslawien nicht mehr möglich.“ Seine Prognose, nicht nur für Bosnien, sondern auch für seine Heimat Kosovo: „Entweder gewinnen wir oder der serbische Faschismus.“