Die schrillen Pigmente der Luft

■ Klangperformance der »Audio Ballerinas« — Die zehn Tänzerinnen der Audio-Gruppe von Benoit Maubrey verwandeln mit ihren »Sprechenden Kleidern« die Luft in Kunst

Wäre ich ein Audio-Tutu, hätte ich das genauso gemacht. Auch ich wäre nach der Performance entflammt. Vor lauter Begeisterung in Feuer aufgegangen über die Audio Ballerinas und natürlich über meine eigene Wucht: über die ohrenbetäubende und sinnesverwirrende Wirkung meiner Substanz, die im wesentlichen aus Plexiglas, bunten Kabeln, schillernden Solarzellen und Lichtsenoren, aus ein paar Lautsprechern, digitalen Memories (normalerweise im Telefonanrufbeantworter zu finden) und allerhand ähnlicher Schrottelektronik besteht. Alles in allem 30 Watt bei 12 Volt, wahlweise aus Sonnenenergie oder über Akkus gewonnen. Aber ich bin ja kein Audio-Tutu und konnte deshalb auch nicht so einfach züngelnde Flammen schlagen. Und die Tatsache, daß eines der acht Audio-Tutus nach der vorletzten Performance vor dem Berliner Kunstgewerbemuseum entflammte, wurde ohnehin nicht der Begeisterung, sondern der profanen Tatsache angescheuerter Kabel und einem durchgeschmolzenen Tesastreifen zugeschrieben.

Ein außerplanmäßiges Geschehen in der außergewöhnlichen Geschichte der Sprechenden Kleider, der Geschichte der Audio-Tutus also. Die sechste Ausgabe (zuvor designte die Gruppe u.a. Sprechende Radler-Uniformen, BVG-Uniformen und Stahlarbeiter-Antons) der Sprechenden Kleider sind Plexiglas- Ballettröckchen mit integrierter PA- Anlage. Gierig saugen die Röckchen die Geräusche ihrer Umgebung auf, verstärken, verdoppeln, verzerren sie und schwirren wie akustische Pigmente durch die Sphäre: Die Audio Ballerinas zaubern eine Skulptur für Ohren und Augen herbei. — Benoit Maubrey, der Erfinder und Kopf der Sprechenden Kleider, ist eigentlich Maler und hatte offensichtlich das bedrängende Gefühl, in hermetisch abgeriegelten Galerien verstummen zu müssen. Was also lag näher, als das Leben der Straße aufzunehmen und den Lebens-Lärm echogleich zurückzuschleudern? Das Echo des Echos war perfekt: Die Klangperformances der Gruppe der »Sprechenden Kleider« auf Festivals und Veranstaltungen in Frankreich, Holland, Portugal, den USA und der ehemaligen Sowjetunion wurden mit einer Reihe von Preisen ausgezeichnet.

Die zweite Performance der Audio Ballerinas, die bis zum Herbst etliche Performances im Raum Berlin und Brandenburg aufführen werden, spielte mit dem 11-Uhr-Glockenschlag des Tempelhofer Rathauses. Wartende Bräute, denen die Show gestohlen wurde, umringt von verblüfften Hochzeitsgästen, irritierte Mütter mit Kindern, ungläubige Opas und kläffende Hunde — sie alle wurden auf ihrem Gang ins Rathaus von einem Geräuschgewitter überfallen, währenddessen sich die Ballerinas windend, wogend und zuckend über die Betonpiste vor dem Behördenbau bewegten. Jeder Tutu sprach seine eigene Klangsprache, jede Ballerina ihre individuelle Körpersprache. Ungeniert, mal frech, mal grazil, schlendern die acht Frauen zwischen den zufällig Vorbeikommenden hindurch — Schönheiten, die sich mit ihren Kunströcken und dunklen Sonnenbrillen jeder Annäherung entziehen. Sie integrieren statt dessen die »Zierde« des Rathauses, ein unsäglich einfallsloses Arrangement an Beton»kunst«, gehen und vergehen wie Klänge im Raum. Es ist eine spezifische Choreographie der jeweiligen Orte, frei von starren Schrittmustern, eine Choreographie von Licht und Schatten auch. Im Schatten — der an jenem trübverhangenen Vormittag leider konturenlos blieb — verdichtet sich laut Maubrey der Klangnebel, der aus den Tutus schwillt. Ein Nebel aus Radiostörung, Computerpiepsen, Stimmengewirr. Ein akustisches Bild unserer Zeit. Ein schrill-quietschendes Klangbild der rauhen Oberfläche. Die Ballerinas treffen die Schmerzgrenzen der Hörgewohnheit, wenn sie die Betonskulptur mit Metallrechen harken, in die Geräuschverstärker eingebaut sind; sie strapazieren die Nerven und erfreuen das Auge. Eine Performance der Widersprüche, die die Sprache der klassischen Ballettausbildung mit Hilfe des Wörterbuches der gradlinigen Choreographie in Sprache des Alltags von hier und heute übersetzt. Und trotzdem wirkt das Klangereignis so, als käme es direkt von einem andern Stern.

Taub inmitten des Chaos jedoch werden wir plötzlich feinhörig: der kläffende Köter (jawohl, Köter!), die Sirene des Krankenwagens, die quietschenden Reifen — wir nehmen die alltägliche Lärmbelästigung wahr, als hätten uns die Sprechenden Kleider erst wieder auf ihre Spur führen müssen. Der Tempelhofer Damm brüllt und tobt, die Belästigung wird zur Last, wird unerträglich und alles beherrschend. Sie malträtiert mein Trommelfell, füllt meine Paukenhöhle, rüttelt an Amboß, Hammer und Steigbügel. Ohren dröhnen. Augen suchen. Wo sind sie bloß, die Ballerinas, die mein Auge erfreuen und mir bedeuten, daß ich ihrer Klangperformance beiwohne? Ohren brennen — ich bin in der Performance, auch ohne die Sprechenden Kleider. Petra Brändle

Die nächsten Performances der Audio Ballerinas: Heute um 13 Uhr und morgen um 18 Uhr vom S- Bahnhof Friedrichstraße zum S- Bahnhof Alexanderplatz, von dort geht es hoch zur Plattform des Fernsehturms;

ebenfalls heute um 24 Uhr im SO 36

Weitere Termine unter 6924309