Nach dem Fall der alten Mauern nun neue Hürden

■ Bei wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Osteuropa ist das Interesse auf beiden Seiten groß/ Die politische Lage in Osteuropa und finanzielle Hürden gefährden aber die aktuelle Kooperation Berliner Universitäten mit den GUS-Ländern

Berlin. »Ich rannte schon neun Jahre mit einem Problem herum«, erzählt Robert Schrader, Professor für theoretische Physik an der Freien Universität (FU). »Als dann 1987/88 Professor Borisov, Gastdozent aus St. Petersburg, schon fast ein dreiviertel Jahr hier war, erwähnte er in einem Nebensatz, was mich auf die Lösung meines Problems brachte. Zudem arbeitete ich damals noch mit einem Kollegen aus der DDR zusammen. Da es verboten war, Manuskripte über die Grenze mitzunehmen, tauschten wir uns telefonisch aus. Borisov schmuggelte es dann über die Grenze, ohne daß er kontrolliert wurde. 1988 haben wir unsere Arbeit dann zu dritt veröffentlicht.«

Wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ost und West hat in Berlin eine lange Tradition, nicht zuletzt durch die umfangreichen Beziehungen der Humboldt-Universität (HUB) mit Staaten des ehemaligen Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Insgesamt existieren rund 130 Partnerschaftsverträge zwischen Berliner und osteuropäischen Hochschulen. Das bietet Professoren, Dozenten und Studenten Möglichkeiten, vom Wissen der anderen zu profitieren. Sehr wichtig für die Zusammenarbeit ist, ob sich die Wissenschaftler auch auf der persönlichen Schiene gut verstehen.

Die älteste Partnerschaft stammt aus dem Jahre 1959, ein Vertrag, den die HUB mit der Staatlichen Moskauer Universität (MGU) abschloß. Dieser und noch rund 80 weitere Verträge stellen die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit. Die jüngste Forschungskooperation schloß die HUB im Januar 1992 mit dem Nordkaukasischen wissenschaftlichen Hochschulzentrum in Rostow am Don.

Für die Ausgestaltung und Themenwahl sind die Wissenschaftler selbst verantwortlich. Dabei laufen die meisten Kontakte im Bereich der Naturwissenschaften. »Die Russen beispielsweise haben eine sehr gute theoretische Ausbildung«, bestätigte Martin Nichelmann, Professor für Tier- und Verhaltensphysiologie am Institut für Verhaltensbiologie und Zoologie an der HUB. Für Versuche haben sie in Minsk zwar Anlagen, die sind jedoch hoffnungslos veraltet. Anfang der 80er Jahre waren die Weißrussen noch gut ausgerüstet, sogar noch etwas besser als in der DDR. Jetzt geht es jedoch bergab.« Verbindungen mit Professor Gurin, dem Direktor des Physiologischen Instituts der Akademie der Wissenschaften in Minsk, bestünden seit 1985. Sie arbeiteten gemeinsam über Temperaturregulation bei warmblütigen Tieren.

Seit der Wende in der DDR sind vor allem bürokratische Hürden hinzugekommen. »Mitte der 80er Jahre fiel für Reisen in die Sowjetunion der Visazwang weg«, erzählt Marion Malik, Leiterin des Referats für internationale Beziehungen der HUB. Heute können die Wissenschaftler nicht mehr so einfach hinüberfahren. Die Deutsche Botschaft sei jetzt das Nadelöhr. »Neue Mauern haben die alten ersetzt«, beschwerte sich ihr Amtskollege Hans-Peter Hempel von der Technischen Universität. Denn es sei auch nur schwer zu realisieren, für die kurzen Aufenthalte der Gastdozenten die obligatorischen Unfallversicherungen abzuschließen.

An der Freien Universität ist der älteste Vertrag mit der Uni Leningrad bereits 1968 geschlossen worden. Es ist mit 17 gemeinsamen Themen von nur sechs bestehenden Verträgen gleichzeitig der umfangreichste. Physik steht mit sieben Themen an der Spitze. Insgesamt stehen uns 28 Monate zur Verfügung, in denen Dozenten und Professoren aus Petersburg kommen können. »Wer geschickt wird, liegt allein in der Verantwortung der Petersburger. Vom Westen ging bisher niemand dorthin. Früher hatte die ehemalige DDR das Vorrecht, Gastdozenten zu schicken, heute ist es zu teuer, da immer das empfangende Land zahlt«, so ein Mitarbeiter des Außenamtes der FU.

Die Finanzierung der Partnerschaften ist Sache der Hochschulen. Der Senat stellte zwar 200.000 Mark zur Verfügung, dieses Geld kann allerdings nur für die Anbahnung von Kontakten beantragt werden, beispielsweise, wenn erste Treffen stattfinden sollen. Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst hilft mit 355.000 Mark. »Wir hoffen, daß unter den allgemeinen Kürzungen in den Uni-Etats die Beziehungen zu Osteuropa nicht leiden«, merkte Marion Malik an. »Auch wenn die Zahl der Projekte nicht steigt, wird es doch immer teurer. Wir werden jedoch versuchen, den Bestand zu halten.« Die Mittel für Außenbeziehungen an der TU seien um 16 Prozent gekürzt worden, so Hempel. Dabei sehe er gerade in diesen Kontakten die Vorbereitung für die multikulturelle Gesellschaft von morgen. Und da könnten die Unis eine gesellschaftliche Aufgabe leisten. Zumindest ließ Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) über seinen Pressesprecher Helmut Lück mitteilen, daß die »Kooperationen mit Osteuropa ein ‘wertvolles Spezifikum‚ des Wissenschaftsstandortes Berlin seien, die nicht in Formalien steckenbleiben, sondern lebendig ausgestaltet werden sollten«. Susanne Landwehr