Erhardts Knalleffekt wirkt erst in Jahren

■ Sparbeschluß des Senats reduziert nicht die Zahl der Studierenden, sondern die Plätze an den Universitäten/ Der Sparbeschluß wirkt erst 1995, die Studienbedingungen verschlechtern sich sofort/ An der TU auch im Wintersemester Nullzulassung?

Berlin. Der Berliner Senat will die Zahl der Berliner Studienplätze auf 100.000 reduzieren und damit 300 Millionen Mark einsparen. Das wird hauptsächlich die beiden großen Berliner Universitäten treffen: die Freie und die Technische Universität. Die Regierenden Berlins schlossen ausdrücklich die Humboldt-Universität und die Fachhochschulen von der Maßnahme aus. Eine schnelle Abnahme der Zahl von derzeit 145.000 Berliner StudentInnen wird es aber ebensowenig geben wie die »flotte Mark« für Senator Pieroths Stadtsäckel. Die Senkung der Anzahl der Studienplätze wirkt sich auf die Stellen der Lehrenden aus, aber das nur nach und nach. Hingegen werden sich die Studienbedingungen sofort verschlechtern. Als Sofortmaßnahme für den 93er Haushalt strichen die SenatorInnen 40 Millionen Mark und stellten hundert Stellen an TU, FU und der Hochschule der Künste zur Disposition.

Der jetzige Beschluß des Senats zu den Studienplätzen verschärft die Maßnahmen »Festlegung von Kapazitäten und Personalaustattung im Berliner Hochschulbereich« aus dem Oktober 91. Damals war die Zahl der Berliner Studienplätze in »Höchstlast« — die »Normallastplätze« nimmt schon niemand mehr in den Mund — auf 115.000 festgelegt worden. Und genau jene Zahl wurde nun auf 100.000 heruntergefahren. Damit kann man, so Traugott Klose vom Planungsreferat der FU, zunächst nur »kleine Größen« sparen. Pro Jahr seien davon vier bis fünf Prozent der ProfessorInnen betroffen. Bei den Wissenschaftlichen Mitarbeitern seien etwa 15 Prozent betroffen. Deren Verträge sind meist auf fünf Jahre begrenzt.

Der Präsident der Freien Universität beurteilt die Sparbeschlüsse negativ. »Die Massenuni wird noch unzureichender«, sagt er zu den Einsparungen. Und zur aktuell angewandten Methode meint Gerlach: »Wir werden gezwungen, mit der Personalmittelschraube den NC (Numerus clausus, red.) herunterzudrehen.« Ganz konkret muß Gerlach im kommenden Haushalt 55 Stellen einsparen und weitere neun Millionen Mark pauschal für Personalmittel. Das Procedere wird dabei sein, daß die gerade freiwerdenden Stellen gestrichen werden. Eine Einsparung »nach dem Zufallsprinzip«, wie Johann Gerlach sagt, »ich muß in der ganzen Uni sammeln gehen«.

Der Wissenschaftssenator zielte indes auf etwas anderes. Ihm geht es um die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer, die seiner Ansicht nach eine »personelle Überbesetzung« aufweisen. Erhardts Methode dafür könnte wirksam sein. Die Senkung der als Meßzahlen wirkenden Studienplätze in Berlin schlängelt sich gewissermaßen bis in jene Fächer vor, die Erhardt treffen will: die Humboldt-Uni und die Fachhochschulen sind ausgenommen, d.h. 15.000 Plätze weniger an FU, TU und Hochschule der Künste. Letztere wiederum wird Plätze und Personal nicht reduzieren müssen, weil die künstlerischen Eingangsprüfungen wie ein harter NC angesehen werden. Und auch auf die NC-Fächer in TU und FU wirken sich die Schnitte nicht oder mäßig im »weichen NC-Bereich« aus. Mit anderen Worten: Die Absenkung der Studienplätze erwischt voll die Geistes- und Sozialwissenschaften.

Ein erster Schritt von Wissenschaftssenator Manfred Erhardt auf eine bildungspolitisch bundesweit bedeutsame Maßnahme hin: die Evaluierung jener Fachbereiche, die er gerade knutet. Das mit dem DDR- Umbruch und dem Zurechtstutzen der dortigen Wissenschaftslandschaft aufgekommene Instrument soll auch im Westen der Republik Anwendung finden. Die Evaluierung »setze ich durch«, sagte Erhardt jüngst bei einem Hintergrundgespräch. Er habe dem Wissenschaftsrat angeboten, »daß wir in Berlin damit anfangen«.

Die Universitäten wirken derweil konsterniert bis schockiert auf den Erhardtschen Rotstift. An der Technischen Universität beschloß der Akademische Senat bereits im Februar eine Nullzulassung für das Sommersemester. Angesichts der »vollkommen ungesicherten« Haushaltslage könne die TU »im Sommersemester 1992 keine neue Studierenden zulassen«, hieß es damals. Das war ein Warnschuß, denn im Sommersemester kommen eh kaum Studierende an die Uni. Gestern brütete der AS über dem — erneut gekappten — Haushalt. Und im Wintersemester werden wohl wieder rund dreieinhalbtausend Studierende an die 40.000 StudentInnen zählende TU wollen.

Auch die Berliner StudentInnenvertretungen scheinen noch nicht so recht zu wissen, was sie von den Kürzungen halten sollen. »Auf das schärfste« protestierten sie gegen die Streichung der StudentInnenzahlen in Berlin um nahezu ein Drittel. Der Beschluß sei »unverantwortlich«, weil Berlin, die »zukünftige Metropole«, seine Ausstrahlung als Uni- Standort behalten müsse. Außerdem sei ein »härterer Konkurrenzkampf« in den Schulen zu erwarten. Kommenden Mittwoch will der TU- AStA in einer Vollversammlung über die Senatsbeschlüsse und ihre Auswirkungen informieren.

Seine eigentliche Sprengkraft wird der jüngste Sparbeschluß erst ab 1995 entwickeln. »Man kann solche Maßnahmen«, so der Sprecher des Wissenschaftssenats, Helmut Lück«, »nicht im Hauruckverfahren einsetzen.« Christian Füller