9.363.123 km2 Amerika

Über die Wiederaufführung von „Days of Heaven“ des verschollenen Regisseurs Terrence Malick  ■ Von Michaela Lechner

Has anyone heard from Terrence Malick?“ fragt man sich bei der Paramount bis heute. Der amerikanische Regisseur Terrence Malick hat in den siebziger Jahren zwei Spielfilme gedreht, die von Publikum und Presse euphorisch aufgenommen wurden.

Danach ist er von der Bildfläche verschwunden. Um unbehelligt arbeiten zu können, behaupten die einen. Geflohen vor der unausweichlichen Hollywood-Karriere, behaupten die anderen.

Schließlich hatte die Paramount schon Fesseln gezückt, um den talentierten Regisseur langfristig zu binden. Berichten zufolge wurde 1979 ein Fonds geschaffen — eine Million Dollar, die Malick in jährlichen Raten zu je 100.000 erhalten sollte. Einzige Auflage: der hochbegabte Regisseur hatte sein nächstes Filmprojekt zuerst der Paramount anzubieten. Malick akzeptierte und zog sich mit dem Geld in die Anonymität zurück. Seither fehlt von ihm so gut wie jede Spur, angeblich verfaßt er gelegentlich Drehbücher. Der Legende nach wurde Malick 1989 in Texas gesichtet, als er eine außergewöhnliche Konstellation von Mond und Venus am Sternenhimmel filmte. Hollywood hofft jedenfalls.

Days of Heaven (1978), nach Badlands (1973) der zweite und bisher letzte Spielfilm Malicks, kommt jetzt wieder in deutsche Kinos. Vielleicht weil Richard Gere in der Hauptrolle zu bewundern ist — bevor er American Gigolo und Hollywood-Mythos wurde. Der Film beginnt in Chicago, um das Jahr 1916. Abgefilmte Dokumentarphotos bezeugen den Stand der Industrialisierung in den Großstädten. Richard Gere spielt Bill, den impulsiven Stahlarbeiter, der vor einem glühenden Hochofen seinen Vorarbeiter erschlägt.

Bill flieht mit seiner Geliebten Abby (Brooke Adams) und seiner 12jährigen Schwester Linda (Linda Manz). Auf dem Dach eines fahrenden Zuges reiht sich die „Familie“ ein in die Masse der Arbeitslosen und Saisonarbeiter, die sich auf dem Land, in Texas, bei der Getreideernte durchs Leben schlagen müssen. Die Arbeit ist hart und anstrengend, bis am Horizont trügerische Hoffnung aufschimmert. Der reiche, todkranke Farmer (Sam Shepard) verliebt sich in Abby, und Bill spekuliert auf das Erbe. Nach Abbys Heirat kommt es (angedeutet) zu triangulären Verstrickungen und beinah zwangsläufig zum dramatischen Höhepunkt.

Bis es soweit ist, inszeniert Days of Heaven Spannungsfelder allerorten: der Moloch Stadt und das unendlich weite Land, die armen ArbeiterInnen und der reiche Farmer, knospendes Leben und lauernde Verwesung, tiefe Liebe und abgrundtiefer Haß. Die Welt als Kampfplatz, wo die Schwächsten erbarmungslos unterliegen.

Obwohl es immer um alles oder nichts gehen soll, entsteht aus den Spannungen selten mehr als belangloses Geplänkel. Vielleicht weil der Film nur scheinbar an den Menschen vor der Kamera interessiert ist und Malicks Personenporträts gelegentlich zum Klischee gerinnen.

Malicks ProtagonistInnen sind Skizzen, vorläufige Entwürfe, die eher andeuten als ausformulieren. Allen voran Bill, ein epischer Held im klassischen Sinn, zerissen zwischen „natürlichen“ Bedürfnissen und Bedingungen, die ihm die Situation und der Zufall auferlegt haben. Ein skrupelloser Gauner und naiver Bandit. Ein Mensch ohne Tiefe, offen für die Projektionen des Publikums. Richard Geres Gesicht ist im Film nicht mehr als optische Leerstelle. Die Konturen weich, eine plane Ebene, flach wie das Land. Ohne Falten und Spuren. Seine Züge spiegeln Unschuld, Phlegma, Absenz. Erst wenn Gere läuft, bekommt er Leinwandpräsenz. Federnd, geschmeidig durchmißt er mit großen Schritten die Kornfelder. Und doch muß er einen wehenden weißen Mantel tragen, um aufzufallen.

Obwohl sich ProtagonistInnen existentiell verstricken, plätschern Gefühlstiefen an der Oberfläche und verstecken sich hinter Metaphorischem. Abby und Bill verbindet eine außergewöhnliche Liebe, deshalb drapieren sie sich gelegentlich in der freien Natur und turteln. Und wenn Abby und den Farmer später eine außergewöhnliche Liebe verbindet, rückt gelegentlich das hell erleuchtete Schlafzimmerfenster ins Bild, und manchmal knospt eine Pflanze in Nahaufnahme.

Geschichten zu erzählen, in denen es um Liebe und Haß, Leben und Tod geht, erfordert nicht selten eine gewisse Lakonie. Ein Achselzucken. Alles übrige rollt sich nur ab, sollte man meinen. Dennoch ist Days of Heaven über weite Strecken aufdringlich und pathetisch inszeniert. Existentialismus à la Vom Winde verweht eben. Nicht nur, weil Enrico Morricones Musik den Anstieg in Gefühlstiefen wirklich eindrucksvoll diktiert. In 95 Minuten Days of Heaven wird die Geschichte zunehmend zum Anlaß, die wunderschöne Natur mit wogenden Kornfeldern und fulminanten Sonnenuntergängen ins Bild zu rücken.

Die Kamera, für die Nestor Almendros 1978 von Hollywood einen Oscar bekam, unternimmt alles Erdenkliche, um sich bemerkbar zu machen. Schwenks über den unendlichen Horizont — hin und her; schwindelerregende Kamerafahrten — hoch und runter. Penetrante Zooms in Gesichter, um auch die winzigste Regung sachdienlich festzuhalten. Virtuose Überblendungsarbeit zum Sattsehen, nicht zu vergessen die unzähligen Tieraufnahmen (à la Serengeti lebt) mit den wirklich beeindruckenden Nahaufnahmen von knabbernden Heuschrecken.

Die Bilder wollen beeindrucken, und sie schaffen es, zweifelsohne. Der Film enthält genügend Schönheit für ein Dutzend Filme. Eine kalte Schönheit, die expandiert, weil sie sich nicht unterordnet und die Menschen aus der Geschichte drängt. Days of Heaven glorifiziert schlußendlich nur das Land, ein wildes, fruchtbares, unbesiegbares Land. 9.363.123 km2 Amerika und kein Horizont in Sicht.

Days of Heaven/Tage des Himmels , Regie: Terrence Malick, mit Richard Gere, Sam Shepard, Brooke Adams, Linda Manz, USA 1978, 95 Min., Farbe