Niedrige Instinkte

■ betr.: "Wer kontrolliert den 'Spiegel'", taz vom 17.6.92

Betr.: „Wer kontrolliert den 'Spiegel‘“ von Antje Vollmer,

taz vom 17.6.92

Wie schrieb jestern am 17.Juni, der Tag des Arbeeter-Aufstands jejen die Ulbricht-Mafia, die Antje Vollmer: „...niedrige Instinkte beim Leser zu bedienen...“ Hat die jute Antje etwa ooch mich jemeint, als ick mir jestern die taz koofte? Ick fiel ja uff'n Arsch, als der Zeitungsfritze mir sagte: „So! Macht eene Mark Fuffzich!“ Ick lächelte und antwortete: „Aba Herr Latschke, ick will doch nich' den Zeitungsverlag koofen, will nur die eene Zeitung hab'n!“ Junge, junge, kiekte der mir aba schräg an.

Ja ja, wenn man ein schlapper 80er und een kleena Rentenempfänga is, ick weeß nich', et läßt im Koppe schon een bisken nach, det schleicht sich so ein im Laufe der Jahre... Weeß ick doch, det ick die taz schon jelesen habe, als se hier für Berlina, für Fortschritt-Denkende, uff de Bildfläche erschien. Da war'se ville billijer. Aba jetzt? Ick war ja keen politischa „Staatsdiena im Amt“, ick war Arbeeta, und „diente“ nur dem Untanehmatum, und da der Lohn sehr jering war, so jering is ooch die Rente für den „joldenen Lebensabend“ Da isses ja bei den „Volksparteien“ anders. Ob CDU/ CSU/FDP und der SPD, die lejen sich die Höhe ihrer Jelder für den Lebensabend hinta verschlossenen Türen selbst fest. Det „Wähla-Stimmviel“ muß ja nun wirklich nich' imma alles erfahren, wie die „Diener des Staates“ sozialjerecht mit de Steuerjelder von allen umjehn. Janz klar, sowat weckt nur bei einfache Leute die niedrijen Instinkte, bei dem eenen oda anderen.

Nee, ick hatte mir imma, als ick noch für det Untanehmatum schaffen durfte, daruff verlassen, wenn die SPD-Schreier uns damit übaschütteten „Jawoll! Und darum habt Ihr uns jewählt! Wir sind auch die Partei für den einfachen, kleenen Arbeeter! Unsa Kampf für Euch, er richtet sich gegen das Unternehmertum, daß Euch ausbeutet! Wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit! Jenossen! Ihr wüßt, wen ihr wieder zu wählen habt! Uns die SPD! Die Partei des kleinen Mannes!“

Verzeiht, liebe tazler, wenn ick mir hier nich' so vornehm, so intellektuell artikulieren kann... aba in den zwanziger Jahren jabs for mir nur die Volksschule, se war am Friedrichshain. Vata hatte keene Arbeet, Mutta und er trugen Zeitungen aus, bis Mutta in den Mittelstand herübawechselte, und mit eenem Bauchladen vor Hermann Tietz am Alex Schnürsenkel und Rasierklingen für den jepflegten Herrn verkoofte... Obwohl se für det Koofhaus Tietz keene starke Konkurrenz war, wurde Mutta oft von de Polente festjenommen, und da se det Jeld für de Jeldstrafe nich hatte, kam se ins Jefängnis in de Barnimstraße. Der Frauenknast zog sich rum bis in de Weinstraße, die zum Friedrichshain hochführte. In der Straße wohnten wir ooch, da erblickte ick ooch det Licht der „schönen“ Welt... Wenn dann Mutta een paar Tage in de Knastzelle einsaß, dann konnten wir imma, da wir ja gegenüba vom Knast wohnten, zu Muttern herübawinken... Ja ja, Sozialstütze jabs ooch damals schon. Se reichte für eene Familien-Mehlsuppe... wie heute im Osten. Det alles erinnert mir an de zwanziger Jahre.

Die Geldhaie, die „Kohlemacher“ heute, wie damals, die schlemmern, und die kleenen Arbeeter, die Habenichtse... die zahlen die Zeche... wie imma! Wie heute hier, unta den „Helmut, Helmut“! Und die SPD gröhlt imma noch: „Wir kämpfen für soziale Jerechtigkeit!“ Bei dem SPD-Lafontaine hat sich der Kampf schon bezahlt jemacht. Er is die Spitze von denen, wie se ooch heißen mögen, die ihre „Ruhejehälter“ betonfest in Bestimmungen einjehämmert haben... „Alles nach Recht und Jesetz!“ So sagte doch Jenosse Lafontaine.

Watt soll's, der kleene Polit- Clown Norbertchen Blüm, der uns Rentna ooch unta sich hat, der Junge hat ooch schlappe üba 30 Mille pro Monat uff sein Bankkonto! Tja, die Politmafia in Bonn und anderswo, se denken janz sozial... für sich! Darum hat eener aus ihren Reihen ooch die „freie“, „soziale Marktwirtschaft“ für diese „christliche“ Rejierungs- und Parteienmafia zurechtjeschneidert. Tja, diese Bonzen arbeeten als „Staatsdiener“ sich für uns dusselig! Ooch der Bonna Blümchen hat mit uns kleenen Rentna Probleme. Wir sind zuville jeworden. Damals, nach 1945, da durften wir für eenen Sechser-Lohn die Kriegstrümma beseitigen, die Wirtschaft der Untanehma (ooch Nazi-Untanehma) zum Uffblühen, zum Profitescheffeln bringen... für eenen Sechserlohn, nach dem unsere Rente, wo wa Rentna jeworden sind, berechnet worden ist. Een Berechnungssystem, det ooch die Jenossen der SPD zujestimmt hat. Tja, und so erhalten wir ollen Leute heute eene Sechser- Rente, berechnet nach dem damaligen Sechserlohn... für Millionen, die heutzutage alt sind. Nun haben ja seit Jahren die Konzern-Geldhaie, die „Kohlemacher“ und die sonstige Untanehmaschaft... alles „gläubige Christen“, det Sagen hier im Land. An der Spitze ihr „Strohmann“ H.Kohl. Viele olle Rentna siechen vor sich hin. Die laufenden Preissteigerungen, die ewigen Mieterhöhungen haben sie verzweifelt jemacht. Nicht wenige der Alten hopsen aus dem Fenster... ohne Fallschirm! Aus! Tod! Und Blümchen läßt einen ollen Rentna von der Liste streichen... Das aber is diesen „Staatsdienern“ zu wenig. Sie haben sich eine geschicktere Sterbehilfe ausgedacht! Jetzt muß soo'n oller Rentna noch mehr Geld für pro Tag im Krankenhaus bezahlen, mehr Geld für Arzeneien in Apotheken, mehr Geld für ihr olles Jebiß beim Zahnarzt, mehr Kohle für den Arzt... und nebenher wollen die „sozialen“ Wohnungsbaujesellschaften pro Monat mehr Miete. Meine zum Beispiel det schon ab April 1992, so daß ick nun für zwee Zimmerchen schlappe 800 Pipen uff'n Tisch der „sozialen“ Wohnungsbaujesellschaft hinblättern mußte, aber noch von der bestehenden Rente, denn die 2,7 Prozent Rentenverkürzungserhöhung, die jibt et erst am 1.Juli 1992. So hat mir also die „soziale“ Wohnungsbaujesellschaft, die zehnfache 2,7-Prozent-„mehr“-Rente ab 1.4.92 schon abjezockt. — Is det een Wunda, wenn olle Menschen durchdrehen, sich det Leben nehmen. Se haben von der hiesigen Schwindelpolitik die Schnauze voll! Nun soll wieder der Bus, die U-Bahn teurer werden, det Fressen wird sowieso laufend teurer. Ihr tazler, wat sagt Ihr dazu? Mir plagen nachts Alpträume. [...]

Naja, ick bin een oller Rentna von de Straße... an die jeder vorbeilatscht. Ooch die Presse. Er jibt ja nischt her, es sei denn, er ist bekannt wie de Antje Vollmer. Trotzdem, bald knabse ick mir wieda eene taz ab... wie vor Jahren, wo se ville billjer war...

Ja ja, wat soo'n Rentna schon schreibt. Ab, uff'n Müll mit dem sein Jequatsche... will doch keener hören, wa? een taz-Lesa: R.Unger