40 Jahre 'Bild‘-Zeitung und kein Ende in Sicht

■ 'Bild‘ lesen, dabeigewesen: Die kleine Rezension der Jubiläumsausgabe einer großen Zeitung/ Von Silikonbusen, Alice Schwarzer und der Wiedervereinigung/ Nur einer fehlt: Günter Wallraff, der Mann, der bei 'Bild‘ Hans Esser war

Berlin (taz) — Zahlen, die nachdenklich machen. Unter dieser Überschrift fragte gestern die 'Bild‘- Zeitung die Nation: „Wird in Deutschland bald jede zweite Schwangere ihr Baby abtreiben?“ Eine Zahl, die nachdenklich macht: 40 Jahre 'Bild‘. Sie waren gestern voll. 40 Jahre alt wurde der „unabhängige, überparteiliche Anwalt des kleinen Mannes“, wie sich das Springer-Organ selbst bezeichnet. Zahlen, die nachdenklich machen. Die Startauflage betrug 250.000 Exemplare, die aktuelle verkaufte Auflage liegt nach Verlagsangaben deutschlandweit bei 4,36 Millionen.

Und weil alles so schön war und noch schöner werden wird, gab's für besonders Nachdenkliche noch den Sonderdruck dazu, die „Dokumentation für unsere Leser“. Eine Reise durch die 50er, 60er, 70er und 80er Jahre für eine runde Mark: „Deutschland, wie hast du dich verändert...“ Das alles ganz ohne die 68er, auch Rudi Dutschke fehlt.

Auf Seite drei erwacht Axel Cäsar Springer wieder zu neuem Leben. Sinnierend sitzt er vor der Bücherwand, und Claus Jacobi, 'Welt‘- Mann vom Konzernflaggschiff, gibt noch einmal die schönsten Erkenntnisse seines von Bord gegangenen Lotsen zum besten: „Fragt, was dem Leser wohltut, was er braucht, um seinen Alltag zu verstehen und zu ertragen.“ Gegen alle Anfechtungen pflegte der Alte seinen Redakteuren zuzurufen, daß Bild „nichts von jenen bösartigen, ebenso intelligenten wie letztlich dummen Blättern“ habe, „deren zersetzender Intellektualismus allgemein nicht als verderbbringend erkannt wird“. Wie gut, daß es 'Bild‘ gibt. Denn Springer wußte schon lang vorm Historikerstreit: „Hätte es Bild gegeben, dann wäre Hitler nicht gekommen.“

Nachdenken ohne zu denken, hieß und heißt die Parole. Und dafür sprechen die sauber recherchierten Tips. Ein zeitgenössisches Zitat: „Kein Krebs durch Plaste-Busen“, meldete das Blatt von gestern. Also frisch weiter Silikon implantieren lassen, damit frau sich schmücken kann wie die Dame oben ohne auf Seite 7: „Ein Busen prall und prachtvoll wie von Rubens gemalt... Ira von Fürstenberg in der Sonne von Ibiza.“ 'Bild‘ weiß, was Männer wünschen. Natürlich erwähnt der vierfarbige Rechtfertigungsdruck auch die Kolonnen von Prominenten, die für 'Bild‘ schrieben oder in der Redaktion zu Gast waren. Da staut sich Daniel Cohn-Bendit hinter Steffi Graf und Norbert Blüm hinter Uwe Barschel. Letztgenannter brillierte zum Thema: „Wir haben viel zuwenig Polizisten.“ Doch huch, einer fehlt unter den Goldfedern! Wo ist denn Hans Esser alias Günter Wallraff geblieben? Haben wir doch gerade seine pfiffigen Reportagen von ganz unten so gerne gelesen. Aber für ihn sprang ja Frischluftfanatiker Klaus Kinski in die Bresche. Der Mann, den 'Bild‘ begeisterte, schrieb: „Es ist jedesmal, als ob jemand ein Fenster aufstößt, damit frischer Wind hereinweht.“ Nach den Männern in Hülle und Fülle darf eine bekleidete Quotenfrau nicht fehlen. Auch Alice Schwarzer hat ihren Beitrag zu der Jubiläumsschrift geleistet. Im äußersten Winkel der einundzwanzigsten Seite macht sie klar, daß „der Wolf im Schafspelz“ bloß „Kreide gefressen hat“. Die ganze Frauenabteilung stand übrigens unter der rhetorischen Frage: „Kommt die Frau in Bild schlecht weg? Keinesfalls! Bild forderte immer wieder Anerkennnung der Hausarbeit, gemeinsame Erziehung.“ Danke. 'Bild‘ kämpft eben immer für Sie.

Mit dem vierzigsten Geburtstag werden auch Mauerbau, Mauerfall und Wiedervereinigung noch einmal abgefeiert. Doch dieser Auftrag ist erfüllt, kein Platz mehr für Anführungsstriche. Der Vierzigste, das ist auch die Zeit der Midlife-Crisis: Im Osten sind 'Super‘-Zeiten angebrochen. Welche Antworten wird 'Bild‘ jetzt auf die verkohlten Vierfarb-Leichen auf den ersten Seiten der Konkurrenz geben? SaJa/kotte