: „Für polnische Schweine wasche ich nicht“
AsylbewerberInnen klagen über Mißstände in ihrer Unterkunft „Schäferhof“ im oberpfälzischen Neuersdorf/ LehrerInnen sorgen sich um die Gesundheit der Flüchtlingskinder/ Die Behörden zweifeln an den Aussagen der BewohnerInnen ■ Aus Neuersdorf Bernd Siegler
„Wir sind Asylbewerber und damit keine Menschen“, faßt die 33jährige Kinderpsychologin Olga N. aus der Ukraine verbittert ihre Erfahrungen der letzten Monate zusammen. Sie floh vor politischer Verfolgung aus ihrer Heimat und erhoffte sich ein menschenwürdiges Dasein in der Bundesrepublik. Seit acht Monaten lebt sie zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern und knapp 50 Flüchtlingen, vorwiegend aus Osteuropa, in der Pension „Schäferhof“ im oberpfälzischen Neuersdorf. Sie beklagt nicht nur das schlechte Essen, sondern auch, daß der Pensionsbesitzer die Flüchtlinge ständig „Russenschweine“ schimpft und gegenüber den Kindern handgreiflich wird. Alle Hilferufe beim zuständigen Landratsamt und dem Sozialamt des Landkreises Amberg- Sulzbach blieben bislang ungehört. Mittlerweile beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft mit der Sache. Die BewohnerInnen haben Anzeige wegen der Mißstände erstattet. Idyllisch, am Rande des in dichte Wälder eingebetteten Dorfs Neuersdorf mit seinen knapp 30 Häusern liegt der „Schäferhof“. Die nächste Telefonzelle ist zwei Kilometer entfernt, vier Kilometer sind es bis zur nächsten Apotheke, eine Busverbindung gibt es nicht.
Mit dem Besitzer der Pension, dem 50jährigen Rudolf Schäfer, haben Landrats- und Sozialamt keine Probleme. Der gelernte Elektroingenieur bekommt entsprechend dem Beherbergungsvertrag pro Tag und AsylbewerberIn 35 Mark für Kost und Logis. Ein lukratives Geschäft für Schäfer, dem es vor allem darauf ankommt, die AsylbewerberInnen an Ordnung, Sauberkeit und Sparsamkeit zu gewöhnen.
„Unverständlich bleibt uns, daß die Unterbringung von Asylbewerbern im Schäferhof seit langer Zeit ohne Beanstandungen lief und jetzt plötzlich einige Asylbewerber mit Herrn Schäfer nicht mehr auskommen können“, beschwichtigt Landrat Dr. Wagner. „Unregelmäßigkeiten konnten unsererseits noch nicht festgestellt und bewiesen werden.“ Amtsrat Hans-Jürgen Schneider, Leiter der Sozialhilfeverwaltung, spricht gar von einem „Privatkrieg“ zwischen Schneider und zwei oder drei Familien. „Da herrschen keine haarsträubenden Zustände“, davon ist er überzeugt.
„Unregelmäßigkeiten“ konnten aber die LehrerInnen der Grund- und Hauptschule in Schnaittenbach feststellen, die Flüchtlingskinder aus dem „Schäferhof“ in ihren Klassen haben. Maria Lobermayer, die Erstkläßler betreut, wurde stutzig, nachdem die russischen Kinder im Unterricht mehrmals in Tränen ausgebrochen waren. „Im Lauf der Zeit machten sie einen zunehmend verängstigten, oft mutlosen Eindruck“, beschrieben auch andere LehrerInnen den Zustand der schulpflichtigen Kinder vom „Schäferhof“. Die Kleinen klagten über Magenbeschwerden, blieben wegen Magenkoliken dem Unterricht fern. Sie berichteten ihren LehrerInnen, daß Pensionsbesitzer Schäfer, von den Kindern respektvoll „Chef“ genannt, sie mehrfach geschlagen habe, nur weil sie sich während der verordneten Ruhezeit von 14 bis 17 Uhr im Haus aufgehalten hatten. Sie erzählten, daß das Frühstück oft aus verschimmeltem Brot und verdorbener Wurst besteht, und daß sie nur drei Gläser Flüssigkeit am Tag bekommen. Einmal kam ein polnisches Kind eine Woche lang nicht zur Schule. Es schämte sich seiner schmutzigen Kleider. „Frau Susi“, Schäfers Haushaltshilfe, habe gesagt: „Für euch polnische Schweine wasche ich nicht mehr.“
„Immer steht Aussage gegen Aussage, aber ich habe nicht gelernt, daß Kinder lügen“, empört sich Maria Lobermayer über die Untätigkeit der Behörden, die immer nur der Darstellung des Pensionschefs glauben. Der spricht von „einer guten Atmosphäre“ im Haus, ist zufrieden, daß er von den Essensresten der Flüchtlinge „vier Schweine durchfüttern“ kann, und weist alle Vorwürfe mit einem „Viel Lärm um nichts“ zurück.
Mit Unterstützung des Rektors verfaßten die LehrerInnen einen Beschwerdebrief an Landrat Wagner. Inzwischen liegen auch mehrere Strafanzeigen von AsylbewerberInnen gegen den Pensionsbesitzer und Dienstaufsichtsbeschwerden gegen MitarbeiterInnen der Sozialhilfeverwaltung vor. Aufgelistet ist darin, daß Rudolf Schäfer das Haus nachts absperrt, daß er die Post der Flüchtlinge öffnet und verschwinden läßt, daß er sie als „Untermenschen“, „Idiot“ oder „fette Kuh“ tituliert und Teile des Sozialhilfebetrages wegen angeblicher Beschädigung des Pensionsinventars einbehält.
Nach diesen Vorwürfen wandten sich der grüne Kreisrat Heinz Herbst, Georg Pilhofer von der örtlichen Amnesty-international-Gruppe und Theo Wießmüller vom Diakonischen Werk in Sulzbach-Rosenberg an die Presse. Mit den LehrerInnen wollten sie sich selbst ein Bild vom „Schäferhof“ machen. Doch Rudolf Schäfer holte die Polizei und drohte mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs. In einem Schreiben an Landrat Wagner protestierte das Diakonische Werk gegen dieses Benehmen. Herr Schäfer verdiene zwar als Geschäftsmann sein Geld mit der Unterbringung von AsylbewerberInnen, „woraus er allerdings das Recht ableitet, das Leben der Asylsuchenden in den meisten Bereichen nach seinem Gutdünken zu reglementieren“, bleibe offen.
Der Schritt an die Öffentlichkeit hatte Folgen. Seitdem stellt Schäfer tagsüber „aus Sicherheitsgründen“ den Strom ab. Die vier Familien, die Anzeige erstattet haben, bekommen die Wäsche nicht mehr gewaschen. „In dem Haus, das kein Zuhause für uns und unsere Kinder geworden ist, werden wir ständig gekränkt und erniedrigt“, schreiben die Flüchtlinge daraufhin in einem offenen Brief. „Wir haben nicht bei Herrn Schäfer um politisches Asyl gebeten, sondern bei der Bundesrepublik“, betont Olga N.
Vor längerer Zeit schon hatte Olga N. einen Antrag auf Verlegung gestellt — ohne Erfolg. Danach hatte sie sich vorgenommen, den Kampf mit Schäfer auszufechten. Für sich, ihre Kinder und die anderen Familien. Sie weiß, daß die anderen Flüchtlinge sie brauchen, denn sie ist die einzige, die deutsch spricht. Doch letzte Woche wurde sie gegen ihren Willen ohne Vorankündigung nach Cham verlegt. Auch die Familie ihrer Schwester und ein Vietnamese wurden plötzlich verlegt. Beide waren im Besitz eines Autos, lebenswichtig für die Neuersdorfer Flüchtlinge zum Einkaufen, als Taxi und Krankenwagen. Nun leben die Flüchtlinge im Schäferhof in totaler Isolation.
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