: Endlager Morsleben wird gerichtet
Bundesverwaltungsgericht muß in Magdeburg über die Stillegung von Morsleben verhandeln/ Mit „einigungspolitischen“ Argumenten will der Bund seine einzige betriebsbereite Atommüllkippe retten ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Über die Zukunft des Atommüll- Endlagers Morsleben, der einzigen betriebsbereiten bundesdeutschen Atommüllkippe, entscheidet heute das Bundesverwaltungsgericht. In den Räumen des Bezirksgerichtes Magdeburg verhandelt der 7. Senat des eigentlich in Berlin ansässigen Bundesgerichtes die Revision, die das Bundesamt für Strahlenschutz einlegte, nachdem eben jenes Magdeburger Gericht im November 91 die „Erfassung und Endlagerung radioaktiver Abfälle“ in dem ehemaligen DDR-Atommüllager auch im Hauptsachverfahren untersagt hatte.
Vorläufig stillgelegt durch die Klage der Rechtsanwältin Claudia Fittkow, die fünf Kilometer vom Endlager entfernt in Helmstedt lebt, ist die Atommüllkippe bereits seit Februar 1990. Die Magdeburger Richter waren in beiden Entscheidungen zu der Auffassung gekommen, daß der Bundesumweltminister mit der Vereinigung am 3. Oktober 1990 lediglich ein Atommüll-Endlager ohne die erforderliche Betriebsgenehmigung übernommen hatte. In der Zeit zwischen dem 1.7. 1990 und der Vereinigung hatte sich das Endlager, das ursprünglich zum DDR- Energiekombinat Bruno Leuschner gehörte, im Besitz der privatisierten Energiewerke Nord befunden und war entgegen den damals bereits von der DDR übernommen Bestimmungen des bundesdeutschen Atomrechts privat betrieben worden. Die Betriebsgenehmigung war und konnte wohl auch bei dem mehrmaligen Besitzerwechsel nicht ordnungsgemäß „übergeleitet“ werden.
Gegen diesen Verlust der Betriebsgenehmigung zieht das Bundesamt für Strahlenschutz mit Unterstützung des Oberbundesanwalts beim Bundesverwaltungsgericht nun mit mehr politischen als juristischen Argumenten zu Felde. Der Oberbundesanwalt beschäftigt sich in seinem Revisions-Schriftsatz überhaupt nicht mehr mit der Frage, wer wann und ob überhaupt eine Betriebsgenehmigung für das einzige bundesdeutsche Atommüll-Endlager besaß, sondern will das Urteil des Bezirksgerichts Magdeburg mit Hilfe großer „einigungspolitischer Gründe“ aushebeln. Die rechtsstaatlichen Anforderungen, die noch das Bezirksgericht stellte, werden in dem Schriftsatz als „formalistisch und unpraktikabel“ bezeichnet. So seien im Zuge des Einigungsprozesses etwa auch beim Abfallrecht, also für ganz normale DDR-Mülldeponien, keine speziellen „Regelungen zum Übergang fortgeltender Genehmigungen auf die neuen bundesdeutschen hoheitlichen Aufgabenträger“ getroffen worden. Für den Fall, daß sich die genauen Anforderungen der Magdeburger Richter an den Genehmigungsübergang durchsetzen, befürchtet der Oberbundesanwalt gar für die fünf neuen Länder „erhebliche Schwierigkeiten in weiten Bereichen der Daseinsvorsorge“. Dies aber steht für ihn im Gegensatz zum Willen des Gesetzgebers, der die staatliche Einigung „in Kontinuität der wirtschaftlichen Tätigkeiten und der Daseinsvorsorge“ habe vollziehen wollen. Das Bundesverwaltungsgerichts soll es also mit dem Buchstaben des Atomgesetzes nicht so genau nehmen und gestützt auf einen im übrigen in bezug auf das Endlager Morsleben nie konkret nachgewiesenen „Willen des Gesetzgebers“ sich zur „richterlichen Rechtsfortbildung“ entschließen. Das Bezirksgericht Magdeburg hatte genau dies im November 1991 verweigert. Die Magdeburger Richter sahen durch eine solche Auffassung die Rechte der Anwohner der Atommüllkippe „in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise“ verkürzt.
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