„Ein Zeichen des guten Willens“

■ Palästinenser in Ostjerusalem und der Westbank reagieren mit einer Mischung aus Skepsis und vorsichtiger Freude auf das Ergebnis der Knesset-Wahlen

Der betagte palästinensische Zeitungshändler am Ostjerusalemer Damaskustor machte am Morgen nach den israelischen Parlamentswahlen ein gutes Geschäft — und er macht es ausnahmsweise auch mit einer guten Nachricht. Doch auf die Bitte um einen Kommentar zum Wahlausgang reagiert er zurückhaltend. Er zuckt die Achseln und wirft ratlos die Hände in die Luft. Dann nimmt er eine Münze aus seinem Kleingeldkasten und hält sie mir erst mit der einen, dann mit der anderen Seite entgegen: „So ist das mit Likud und Labour — zwei Seiten derselben Medaille.“

Ähnlich reagierten viele Palästinenser in Ostjerusalem, Ramallah und in Bir Zeit auf die ersten Hochrechnungen, die eine israelische Mitte-Links-Koalition von Labour und Merez immerhin in den Bereich des Möglichen gerückt haben. Es sieht so aus, als ob sie das Hoffen endgültig verlernt haben. Erst hartnäckiges Nachfragen löst die anfängliche Skepsis etwas auf — und dann fangen auch sie an, es den Israelis gleichzutun und die unterschiedlichen Koalitionsmöglichkeiten durchzuspielen. Im Gespräch wird klar, daß sich die zunächst zur Schau getragene Zurückhaltung bei allen aus der gleichen Quelle speist: aus der Angst vor einer neuen großen Enttäuschung.

„Wenn Labour die Regierung bildet, wird sich zeigen, ob Rabin tatsächlich nur aus wahltaktischen Gründen zum Falken aufgebaut wurde, oder ob er es wirklich immer noch ist“, sagt ein Ingenieur in Ramallah. „Das Schimmste, was uns passieren kann, ist eine große Koalition zwischen Labour und Likud.“

Es war gar nicht einfach, dieses Gespräch am Wahlabend in Ramallah zu führen. Denn die Militärbehörden haben die besetzten Gebiete für 24 Stunden zur „geschlossenen Zone“ erklärt. „Security, wie immer“, brummt der Taxifahrer, zu dessen wenigen Kunden ich an diesem Tag gehöre. Die Eingeschlossenen in der Westbank tragen es mit Fassung: „Wenigstens keine Ausgangssperre.“

„Merez ist gut“, sagt auch ein Palästinenser im Büro des Studentenrats der Bir-Zeit-Universität, „aber wer weiß, ob sie die Macht haben werden, Labour auf Friedenskurs zu bringen. Sicher, Rabin hat erklärt, daß wir die Autonomie bekommen werden. Ich denke auch, wir werden sie bekommen — ob wir wollen oder nicht. Aber die Frage ist doch, mit welcher Perspektive und vor allem, in welchen Teilen der besetzten Gebiete. Labour will doch bislang nicht einmal einen Siedlungsstopp akzeptieren. Sie wollen höchstens eine zeitweise Einstellung des Siedlungsbaus herbeiführen — und das auch nur in einigen Teilen der Westbank!“

Im Ostjerusalemer Bazar ist man am Morgen nach den Wahlen schon zu sehr viel genaueren Einschätzungen gekommen. „Ich habe heute nacht gehört, daß Labour wirklich mit Merez koalieren will“, sagt der Besitzer eines Ladens, in dem Küchengeräte verkauft werden. „Dann fehlen ihnen nur noch drei bis fünf Monate zur Regierungsbildung. Eigentlich freuen wir uns jetzt doch ein bißchen. Dann hätten wir endlich begründete Aussichten auf einen stabilen und gerechten Frieden. Aber auch, wenn sie mit den Religiösen koalieren, haben die Nahostverhandlungen für uns endlich wieder einen Sinn.“ Ein Palästinenser aus Nazareth, ein Israeli also, der in Ostjerusalem zu Besuch ist, mischt sich ein. Und er plädiert genau für die Regierungskonstellation, die den Palästinensern in den besetzten Gebieten als die schlimmste Perspektive erscheint: Für eine große Koalition von Labour und Likud. Die Umstehenden staunen. „Natürlich wäre auch mir eine Mitte-Links-Regierung am sympathischsten“, verteidigt er sich. „Aber dann haben die von Likud nichts mehr zu verlieren. Sie werden sich mit der Siedlerbewegung zusammentun und mit allen Mitteln den Friedensprozeß torpedieren. Für uns könnte das die Hölle werden. Ob die Regierung uns gegen die Folgen schützen kann, wage ich zu bezweifeln.“ „Die Hölle haben wir doch schon“, mischt sich ein anderer ein, „und eine große Koalition ändert daran nichts. Aber selbst in dem Fall sind wir bereit, dieses Wahlergebnis als Zeichen des guten Willens der Israelis zu akzeptieren.“ Nina Corsten, Ostjerusalem