: Eine Chance für Land gegen Frieden
■ Der Chef der Arbeiterpartei Jizhak Rabin hat gute Aussichten, eine breite Koalitionsregierung zusammenstellen zu können. Seine Bereitschaft, Teile der besetzten Gebiete für Frieden einzutauschen,...
Eine Chance für Land gegen Frieden Der Chef der Arbeiterpartei Jizhak Rabin hat gute Aussichten, eine breite Koalitionsregierung zusammenstellen zu können. Seine Bereitschaft, Teile der besetzten Gebiete für Frieden einzutauschen, bringt wieder Bewegung in die Friedensgespräche
Fünfzehn Jahre nach der schweren Wahlniederlage der israelischen Arbeiterpartei, die 1977 die Macht an den Likud-Block abgeben mußte, ist es nun der „Arbeiterpartei unter Führung Jizhak Rabins“ (so der amtliche Name der Liste) gelungen, die damals verlorene Position zurückzugewinnen. Die vorläufigen Ergebnisse der am Dienstag durchgeführten Wahl bescheinigen Rabin einen eindrucksvollen Sieg. Nach den gestern vorliegenden Zahlen bekommt die Arbeiterpartei in der Knesset 45, die mit ihr alliierte linke „Meretz“-Liste 12 und der Likud 32 Mandate. Die Differenz zwischen Linksblock und Likud ist für israelische Verhältnisse enorm groß. Der vom bisherigen Ministerpräsidenten Jitzhak Schamir geführte Likud verlor acht Sitze, die Arbeiterpartei zusammen mit „Meretz“ gewann neun Mandate. Bei passiver Unterstützung durch die beiden arabischen Parteien, „Arabische Demokratische Partei“ und „Demokratische Front für Frieden“, die zusammen fünf Mandate bekamen, können Arbeiterpartei und „Meretz“ eine Rechtsregierung verhindern.
Nach der Veröffentlichung der amtlichen Endergebnisse am Freitag wird Staatspräsident Chaim Herzog voraussichtlich Jizhak Rabin mit der Bildung einer Koalitionsregierung beauftragen. Laut Gesetz hat der zukünftige Ministerpräsident sechs Monate Zeit, um ein Kabinett aufzustellen. Aber Rabin wird bemüht sein, die Aufgabe möglichst rasch zu erfüllen. Bereits heute gibt es deutliche Anzeichen dafür, daß sich die orthodox-religiösen Parteien „Schas“ und „Vereinigte Tora Judaismus“ mit Rabin verbünden wollen. Sie verfügen zusammen über zehn Mandate in der Knesset. In der „Nationalreligiösen Partei“, die sechs Abgeordnete stellt, wird ebenfalls über eine Koalition mit Rabin nachgedacht. Aber auch eine große Koalition zwischen Arbeiterpartei und dem Likud-Block beziehungsweise Teilen des Likud ist nicht völlig ausgeschlossen. Gegen eine solche Alternative protestiert allerdings „Meretz“. Das aus drei Parteien bestehende Linksbündnis hätte aber auch Probleme, mit den religiösen Parteien in einer Regierung zu sitzen.
In seiner Siegeserklärung faßte Rabin gestern zusammen, was er als Ministerpräsident durchsetzen will: „Frieden und Sicherheit sowie eine Änderung der nationalen Prioritäten“. Arbeitslose sollen wieder Arbeit finden, die junge Generation Hoffnung schöpfen, junge Paare Wohnungen bekommen und Neueinwanderer ins Land gelockt werden. Aufgabe der neuen Regierung sei es, Investoren im Ausland zu mobilisieren und „die Staatsauslagen neu zu verteilen.“ Vor allem müßten jedoch „Schritte unternommen werden, um den Frieden näher zu bringen und gleichzeitig Israels Sicherheit zu gewährleisten“.
Die Likud-Führung hatte zwar Verluste erwartet, von deren Ausmaß war sie allerdings niedergeschmettert. Der bisherige Vizeminister Benjamin Netanjahu forderte seine Partei auf, sich an einer von Rabin geführten „Regierung der nationalen Einheit“ zu beteiligen. Diese Regierung solle die schon länger geplante Änderung des Wahlgesetzes beschließen und dann so schnell wie möglich Neuwahlen ausrufen. Diese könnten dann — so hofft man im Likud — die angeschlagene Partei wieder an die Macht bringen. Andere Likud-Politiker, wie der „Falke“ Ariel Scharon fordern hingegen eine „kämpferische, geeinte Likud-Opposition“.
Likud-Führer Schamir zeigte sich „enttäuscht“ über den gegenwärtigen Ausgang des „Kampfes zwischen zwei historischen Kräften“. Der von der Opposition vorhergesagte Kampf innerhalb des Likud werde aber nicht stattfinden. „Wir werden geeint und stark wie ein Felsen stehen“, erklärte er, um im gleichen Atemzug seinen baldigen Rücktritt als Parteivorsitzender anzukündigen. Dieser Schritt sei aber nicht als Reaktion auf den Wahlausgang zu verstehen, sondern schon lange geplant.
Bei den extremen Rechtsparteien gab es einen geringen Gesamtzuwachs von zwei Mandaten und Stimmenverschiebungen innerhalb des Lagers. „Tzomet“, die Liste des ehemaligen Generals Rafael Eitan, hat jetzt sieben statt bisher zwei Mandate. Die rechtsradikale „Tehya- Partei“ verlor ihre drei Sitze in der Knesset. Die „Moledet-Partei“ des Reservegenerals Zeeyi wird weiterhin mit zwei Vertretern im Parlament bleiben. Sie tritt für die sogenannte „Transferlösung“ ein, die Vertreibung der Palästinenser aus den besetzten Gebieten.
Nach Ansicht des Soziologen und Politikwissenschaftlers Jonathan Peres waren es vor allem enttäuschte Neueinwanderer aus Rußland, die der Arbeiterpartei zum Sieg verhalfen. Zwei Drittel der früheren Sowjetbürger haben nach seinen Angaben für Rabin gestimmt, während nur 18 Prozent ihr Kreuz für Likud machten.
Auch unter der jüngeren Generation und den aus orientalischen Ländern stammenden Einwandererfamilien machte sich schlechte Stimmung über die Likud-Regierung breit. „Der Likud hält nicht, was er versprochen hat“, hört man in verschiedenen Versionen in den sogenannten „Entwicklungsstädten“ und Vororten der großen Städte. Gerade hier ist in der letzten Legislaturperiode die Arbeitslosigkeit enorm gestiegen. Die amerikanische Reaktion auf die Wahlresultate kam prompt. Der frühere US-Botschafter in Israel Samuel Lewis bemerkte, in Washington habe man von der Likud-Regierung längst „die Nase voll gehabt“. US-Kommentatoren priesen Rabins gute Beziehungen zu Washington und seine Bereitschaft, Teile der besetzten Gebiete gegen Frieden einzutauschen. Betont wurde auch die jetzt mögliche Freigabe der von der US- Regierung blockierten Kreditgarantien. Voraussetzung dafür ist, daß keine neuen Siedlungen in den besetzten Gebieten gebaut werden. Rabin scheint dazu bereit zu sein. Amos Wollin, Tel Aviv
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