West-Lehrer wollen keine Besserwessis sein

■ Warum nur wenig Lehrer Gebrauch von der Möglichkeit des Lehreraustausches zwischen beiden Teilen der Stadt machen/ Hauptproblem: Ost-Lehrer werden behandelt wie Studenten — auch wenn sie nach denselben Lehrplänen unterrichten

An den Ostberliner Schulen geht das erste Schuljahr nach Westreglement zu Ende — Zeit, Bilanz zu ziehen. Wir beenden unsere vierteilige Serie heute mit Beiträgen über den Lehreraustausch zwischen beiden Stadthälften. Die Serienteile von Detlef Berentzen erschienen in der taz vom 19., 23. und 24.6.

Der Lehreraustausch zwischen Ost- und West-Berlin kommt nicht in Schwung: Nur einer von 160 LehrerInnen unterrichtete im zu Ende gegangenen Schuljahr im jeweils anderen Teil der Stadt. Lediglich 203 PädagogInnen, davon 112 aus Ost- Berlin, wagten sich in die andere Stadthälfte. Und die Misere wird sich fortsetzen. Im vergangenen Jahr erfolgte die offizielle Aufforderung durch den Senat, nachdem die Planung für das folgende Schuljahr bereits abgeschlossen war. Jetzt läuft die Organisation für 1992/93. Die Rahmenbedingungen jedoch sind die alten. »Die haben keine Ahnung vom Leben in der Schule«, stöhnt der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Erhard Laube.

Das Hauptproblem besteht darin, daß der Austausch kein gleichberechtigter ist. Die LehrerInnen aus dem Ostteil der Stadt verfügen noch immer nicht über eine im Westteil geltende Lehrbefähigung. Auch wenn sie nach denselben Lehrplänen unterrichten, sind sie offiziell LehrerInnen zweiter Klasse. Beauftragt, die Anerkennungsfrage zu regeln ist laut Einigungsvertrag die Kultusministerkonferenz. Die aber regt sich nicht. »Doch wer, wenn nicht Berlin, sollte den Stein ins Rollen bringen?« fragt Ex-Schulsenatorin Sibylle Volkholz. »Schließlich existieren in Berlin in großem Ausmaß Lehrkräfte mit unterschiedlicher Lehrbefähigung in einem Land. Nirgends ist der Handlungsbedarf also größer. Die Schülerzahlen wachsen. Aber der Senat läßt lieber eine Stunde länger arbeiten, als die für den Einsatz von Ostberliner LehrerInnen notwendigen Regelungen zu treffen.« Doch die LehrerInnen aus Ost-Berlin werden »nicht nur behandelt wie Studenten«, beklagt sich der GEW-Vorsitzende Laube. »Sie werden auch wesentlich schlechter bezahlt.« Sie erhalten nur 60 Prozent des Westgehalts und werden ein bis zwei BAT- Gruppen niedriger eingestuft.

Mehr Anreize für die Lehrer

Laube sieht durchaus Verbesserungsmöglichkeiten: »Den LehrerInnen müssen mehr Anreize geboten werden. Vier Ermäßigungsstunden sind viel zuwenig.« Schließlich falle neben den längeren Fahrzeiten noch zusätzliche pädagogische Arbeit an, denn: »Der Austausch macht doch nur dann Sinn, wenn eine intensive gemeinsame Planung stattfindet.« Das Treffen, auf dem Laube seine Vorschläge und Forderungen dem Schulsenator Klemann unterbreiten will, wird Woche um Woche aufgeschoben. Klemann war, trotz wiederholter Anfrage, nicht in der Lage, sich zum Lehreraustausch zu äußern. Um die bestehenden Ängste abzubauen, schlägt Laube vor, daß die LehrerInnen nicht allein, sondern in Gruppen gehen.

Hier zeigt sich, was beim Streit um die Paragraphen leicht in Vergessenheit gerät. Es geht um den schwierigen Prozeß der Angleichung zweier Schul- und Lebenswelten. Die Ostberliner befürchten, als LehrerInnen mit Defiziten betrachtet zu werden. Westberliner schrecken andererseits vor Bezeichnungen wie »Besserwessi« oder »Karrierist« zurück.

So manche leitende Funktion im Osten ist nämlich mit Westberlinern besetzt. Daß die Ängste auf östlicher Seite größer sind, berichtet zum Beispiel Martina Jesch. Sie ist zu Beginn des laufenden Schuljahres als Konrektorin an eine Grundschule in Berlin-Mitte übergewechselt. Sie ist damals gegangen, weil sie »die Chance sah, etwas völlig Neues kennenzulernen«. Jetzt ist sie froh, teilgenommen zu haben.

Auch Ralf Kennis hatte Angst, im Westen zu arbeiten. Er ist seit anderthalb Jahren stellvertretender Schulleiter einer Gesamtschule in Mitte. Weil er am »Zusammenwachsen der Stadt« teilhaben wollte, hat er den Weg gewagt, bevor eine Regelung durch den Senat existierte.

Nicht nur weil »das Verhältnis unter den Kollegen hier besser ist als im Westen«, würde er gern bleiben. Er fühlt sich vom Bezirksamt jedoch nicht ausreichend unterstützt und befürchtet deshalb, zum Ende des Schuljahres gehen zu müssen: »Die Bezirke sind bemüht, ihre eigenen Leute in leitende Positionen zu bringen.«

Der Senat bremst also nicht allein. Auch die Bezirksämter spielen keine glückliche Rolle. Martina Jesch weiß ein Lied davon zu singen: Sie hatte sich sowohl in ihrem alten Bezirk Wedding als auch in Mitte beworben. Offensichtlich wurden ihre Bewerbungen jedoch nicht an den Senat weitergereicht. Die Senatsbestätigung erhielt sie demzufolge erst mit dem Weihnachtsmann. Daß sie nicht als Teilzeitkraft, sondern als Konrektorin arbeitet, beglaubigte erst der Osterhase.

Die Bürokratie läßt den LehrerInnenaustausch zum Spießrutenlauf durch die Ämter werden. Über mangelnde Flexibilität beschwert sich Ex-Senatorin Volkholz: »Die Partnerbezirke müssen untereinander tauschen. Das klappt aber nur, wenn die Fächerkombinationen stimmen. Zum gegenseitigen Kennenlernen würde es doch genügen, einen Tag pro Woche zu hospitieren oder Fachkonferenzen gemeinsam abzuhalten.«

Daß mit mehr Flexibilität und Toleranz einiges zu bewegen wäre, zeigt der LehrerInnenaustausch zwischen den alten und neuen Bundesländern: Niedersachsen und Sachsen-Anhalt scheren sich nicht um die Frage der Anerkennung. Besser noch klappt es zwischen Brandenburg und Nordrhein-Westfalen: in drei Etappen wollen bis zum Herbst je 260 LehrerInnen an einem vierwöchigen Arbeitsplatztausch teilnehmen. Die LehrerInnen werden sogar privat untergebracht. Anfängliche Ängste verwandeln Vorbereitungsseminare in Neugierde.

Und auf den Nachbereitungstreffen wissen sich alle um eine Erfahrung reicher — LehrerInnen aus den neuen Ländern häufig um die, daß sie genauso gut Unterricht machen konnten. Arne Siebert