KATHARINA, DAS MÄDCHEN, DAS VOR DEN CHEMO-ÄRZTEN FLOH, FEIERTE GEBURTSTAG

Flucht schon fast vergessen

Augsburg (taz) — Mehr als sieben Monate ist es her, daß der 33jährige Alban Scharpf aus Markt Rottenbach im Unterallgäu mit seiner damals dreijährigen Tochter Katharina und ihrer Oma in die bekannte Mayo-Klinik nach Rochester (USA) geflohen ist. Damit wollte der Vater verhindern, daß sein Kind weiter zytostatisch behandelt wird.

Die Ärzte der Ulmer Uni-Kinderklinik hatten nämlich im Oktober beim Amtsgericht Memmingen einen Sorgerechtsentzug erwirkt, weil sich die Eltern von Katharina geweigert hatten, ihr Kind durch Chemotherapie gegen Leukämie behandeln zu lassen. Für Alban Scharpf war dies, wie er damals im Interview mit unserer Zeitung sagte, die letzte Möglichkeit, „um den Chemo-Ärzten zu entkommen“. Schon vor seiner aufsehenerregenden Flucht sei bei Katharina keine Leukämie mehr nachzuweisen gewesen. Trotzdem sollte das Kind gegen den Willen der Eltern weiterhin chemotherapeutisch behandelt werden.

Das Gericht hob den Sorgerechtsentzug auf, nachdem die Eltern den Nachweis erbracht hatten, daß das Kind fachgerecht behandelt wird. Selten zuvor war so viel über einen Sorgerechtsantrag diskutiert worden. Vor allem die Tatsache, daß verantwortungsbewußten Eltern das Sorgerecht per Gerichtsbeschluß entzogen wurde, um eine ganz bestimmte Behandlung durchzusetzen, bezeichnete der Patientenanwalt Georg Meinecke als einen unglaublichen Einschnitt in das Grundrecht auf freie Arzt- und Behandlungswahl.

Der Leiter der Ulmer Uni-Kinderklinik, Professor Enno Kleihauer, hatte damals die Eltern als verantwortungslos bezeichnet, weil aus seiner Sicht nur die Chemotherapie als Behandlungsmethode in Frage kam. Bei einer Weiterbehandlung räumte der Klinikchef der kleinen Katharina eine 90prozentige Heilungschance ein, bei Abbruch der Behandlung prophezeite er, daß „mit jedem Tag, den wir verstreichen lassen, die Überlebenschancen um ein Prozent sinken“.

Der Ulmer Naturheilkundler Dr.Martin Ernst, der nach der Rückkehr von Katharina aus den USA die Behandlung des Kindes übernommten hat, ist heute sehr froh über den Zustand des Mädchens, das am vergangenen Montag ihren vierten Geburtstag feierte. „Das Blutbild ist genauso wie bei jedem gesunden Menschen.“

Ein Rückschlag ist nicht zu erwarten“, sagt der Arzt, der sich zu einem konsequenten Kontrollprogramm entschlossen hat, das insgesamt mindestens zwei Jahre dauern soll. Zur genauen Behandlungsmethode will sich der Naturheilkundler nicht äußern, weil er vermeiden will, daß die Fronten wieder aufbrechen. Katharina gehe es blendend, und auch andere Ärzte hätten sich inzwischen erfreut darüber gezeigt, daß es nicht länger zu einer Zwangsbehandlung gekommen ist.

Katharina hat ihren vierten Geburtstag im engsten Familienkreis gefeiert, mit Oma und Opa, den Eltern und ihrem inzwischen fast einjährigen Bruder Peter. Vom Krankenhaus spricht sie fast nicht mehr, obwohl sie ihren letzten Geburtstag in der Ulmer Uni-Klinik verbracht hat. Im Garten hüpft sie fröhlich auf ihrem schönsten Geburtstagsgeschenk: einem Hupfball, den sie sich schon lange gewünscht hat. Dem Reporter zeigt sie stolz ihre beiden Kaninchen Max und Moritz, die sie vom Großvater bekommen hat. Traurig wird sie nur einmal an diesem Nachmittag, als Hase Max das Weite sucht und erst Minuten später von ihrem Neffen wieder eingefangen wird.

Hildegard und Alban Scharpf sind froh, daß sich der ganze Rummel etwas gelegt hat. „Endlich haben wir wieder ein richtiges Familienleben, Sie glauben gar nicht, wie gut das tut“, sagt die Mutter von Katharina. Ihr Mann zeigt auf einen ganzen Stapel Zuschriften, die noch immer in Markt Rottenbach eingehen.

„Die meisten haben uns versichert, sie halten zu uns“, sagt der Elektromeister, der noch heute froh ist, daß auch sein Chef ihm „die Stange gehalten hat“. Ein bißchen stolz sind die Eltern von Katharina schon darauf, daß inzwischen mit gerichtlichen Sorgerechtsentzügen etwas vorsichtiger umgegangen wird. Bei einem ähnlichen Fall, kurze Zeit nach Katharinas Rückkehr aus den USA, habe der Memminger Amtsrichter dem Chefarzt der Memminger Kinderklinik einen Sorgerechtsentzug verweigert, berichten sie.

Leichtsinnig seien sie jedoch nicht geworden, obwohl ihnen das auch gelegentlich vorgeworfen wurde in Leserbriefen. An den regelmäßigen Untersuchungen seien sie ebenso interessiert wie der behandelnde Arzt, sagen die Eltern, die froh darüber sind, daß ihr Kind wieder ohne Angst im Garten spielt. „Das war lange Zeit nicht so, weil Katharina immer Angst hatte, daß wieder die Männer kommen und sie abholen“, berichtet Hildegard Scharpf.

Sie meint damit die Vertreter des Jugendamtes, die im Spätherbst vergangenen Jahres vorgefahren waren, um Katharina zur Zwangsbehandlung nach Ulm abzuholen. Klaus Wittmann