Seine verarschte Fratze

Eine Huldigung Witold Gombrowiczs anläßlich einer Ausstellung in Berlin  ■ Von Piotr Olszowka

Der große Provokateur, dem nichts heilig war, nicht das Vaterland, nicht der Louvre, nicht die Kirche, erfährt im Land der seriösen Presse einen ernsten und gehörigen Empfang. Das Spiel mit seinem Ich, das er dem Leser vorschlägt, eignet sich nicht besonders gut, eine huldigende Ausstellung zu füllen, noch weniger sie journalistisch zu besprechen. Gombrowicz lacht sich aus dem Grab, wenn er hört, daß seine literarische Arbeit ein Streben nach immer höherer Reife gewesen sei. Dieser ludische Philosoph, der auf der Flucht vor Verblödung durch die sogenannte „hohe Kultur“, vor der Lüge des guten Geschmacks in die Unanständigkeit des Witzes, des unreifen Spieles, in die anarchische Freiheit des Unwissens auswich, kann als einer der ersten postmodernistischen Schriftsteller gelten.

Drei der weltweit meistgespielten polnischen Dramatiker — Witkacy, Gombrowicz und Mrozek — gehören eindeutig zur selben Gattung: das Spiel mit dem Publikum ist für sie wichtiger als das für das Publikum. Witkacys Stücke stellen zwar eine Wirklichkeit dar, eine Fiktion mit einer einigermaßen kohärenten Handlung, aber das Wichtigste an ihnen ist eine Vision des Unterganges, der Verblödung, das Eintreten der totalitären Massengesellscheft, in der von Kunst und Kultur keine Rede mehr sein kann. Auch die Texte von Gombrowicz, vor allem aber seine Dramen Operette und Yvonne, Prinzessin von Burgund, zeigen vor allem eine Vision der Dekadenz: die Blödheit regiert (Yvonne), und die Revolution wird zur Operette. Mrozek unterscheidet sich zwar in der Schreibtechnik und Form seiner Dramen von seinen beiden Landsleuten; die Aussage vieler seiner Stücke zielt jedoch in dieselbe spöttische Richtung. Allem voran Mrozeks Schlachthaus wiederholt das Bild von Witkacys Schuster und Gombrowiczs Operette: das Triviale siegt über das Raffinierte, das Schlachthaus über die Philharmonie. Gombrowicz schrieb nur drei Dramen (das vierte, Geschichte, blieb unvollendet), aber er vermochte die Prinzipien seiner Philosophie und Schreibtechnik in sie zu integrieren. Sein wichtigstes und vollkommenstes Werk ist gewiß Die Trauung, eine Abhandlung über das Erzeugen von Wirklichkeit aus der eigenen Person. Auf der Handlungsebene kommt es zu Konflikten und (teilweise blutigen) Auseinandersetzungen zwischen den dramatis personae, das Drama geschieht aber in der „Tat“ — „for my mind's eyes“.

In der Ausstellung der Westberliner Akademie der Künste werden zwei sehr interessante Briefe an Gombrowicz gezeigt: von Albert Camus und von Martin Buber. Der letzte schrieb in einwandfreiem Polnisch, daß er Die Trauung zwar interessant und gut geschrieben findet, grundsätzlich aber nicht für Dramatik hält; dafür fehlen nämlich die „realen“ (?) dramatis personae, weil sich das „Drama“ nur im Kopfe des Protagonisten Henryk abspielt. Dieser Trick bestätigt die Originalität Gombrowiczs — und seinen Mut, von Shakespeare (Hamlet), Wyspianski (Die Hochzeit) und Pirandello (Sechs Personen suchen einen Autor) schöpfend, einen Schritt zu wagen, der bisher nur den Prosaschreibern erlaubt war: den Plot als „Kunst-im- Kopf“ bloßzustellen. Gombrowicz verschiebt radikal: nicht im Kopf des Autors oder Erzählers, sondern im Kopf der szenischen Person spielen sich alle Konflikte ab.

So kommt auch der radikale Ich- Bezug Gombrowiczs am stärksten zur Geltung. Sein Egotismus prangt von allen Wänden der kleinen Schau im Hanseatenweg: Gombro (wie man im Polnischen vertraulich sagt) als Selbstdarsteller, groß und klein, jung und alt mit Rita und mit den Freunden, gemeinsam mit Jan Lenica, dem Pariser-Berliner Plakatmeister, der auch grafische Akzente der Ausstellung gestaltet hat, und als Krönung der Ausstellung Witold Gombrowicz, drei- oder vierjährig, als Mädchen verkleidet. So wollte er wahrscheinlich am liebsten gesehen werden, ewig jung, schön, lustig und provozierend.

Eine besondere Beziehung verbindet Berlin und Gombrowicz. Nach über zwanzig Jahren Exil in Argentinien kehrte er 1963 über Berlin nach Europa zurück und lebte ein Jahr lang als Stipendiat in dieser Stadt. Hier lernte er einige Schriftsteller und Intellektuelle kennen, aber da er offensichtlich mißverstanden werden wollte, konnten es nur ganz wenige mit ihm aushalten. Neben Ingeborg Bachmann zählt Klaus Völker dazu, und seine Notizen über Gombrowicz gehören zu den treffendsten Angaben zu dieser ungeheuren Person. (In der kleinen Broschüre des Hanser Verlags zu finden.)

Obwohl er so viele Gesichter in Bild und Text zeigt, können wir nie sein Antlitz erblicken. Die Fratze, eine der wichtigsten Kategorien der Gombrologie, tritt immer dort auf, wo eine Begegnung mit dem Meister stattfindet. Er lehrt uns, daß der Mensch auf ein Theater des Alltags angewiesen ist, auf eine der undurchlässigen Masken (die besagten „Fratzen“), eine Rolle, die ihm von der Umwelt, letztendlich jedoch „eigenhändig“ verpaßt wird. Ein anderer Begriff für diese Haltung Gombrowiczs lautet „Verarschung“ (upupienie), wobei das Wort im Polnischen eine andere Konnotation hat als im Deutschen. Für Gombrowicz bedeutet es vor allem: Unterschätzung, eine falsche Sicht des Menschen als unreife Person.

Die Schlüsselmetapher des wohl wichtigsten Romans Gombrowiczs, Ferdydurke, wo ein erwachsener Mann in die Schule zurückversetzt wird, ist mir wegen meiner Erlebnisse als Emigrant besonders nah. Aber ich bewundere ihn auch für seine Haltung gegenüber Polen und seinen Patriotismus: „Misthaufen. Das ist ja der Haken, daß ich von eurem Misthaufen abstamme. In mir macht sich bemerkbar, was ihr im Laufe der Jahrhunderte als Abfall wegwarft.“

Die Trauung verschafft Zugang zu den Texten Gombrowicz: der Leser als dramatis persona in der Imagination des Textes. Das überstarke Ich von Gombrowicz trickst uns aus. Nicht zu lesen, sondern gelesen zu werden ist das penetrante Gefühl bei der Lektüre von Ferdydurke, Kosmos, Pornographie, auch vom Tagebuch. Selbst in der Ausstellung, von Hunderten Gombrowiczaugen beobachtet, glaubte ich, nur als seine Vorstellung zu existieren.

Das Werk Gombrowiczs liegt auf deutsch vor. Die Broschüre des Carl Hanser Verlages „Witold Gombrowicz. Der Apostel der Unreife oder das Lachen der Philosophie“ hrsg. von Hans Jürgen Balmes ist für DM 3,50 in der Ausstellung zu erwerben. Noch bis 28. Juni, Akademie der Künste, Hanseatenweg, West-Berlin