„Madonna hat vermutlich mehr Probleme“

Salman Rushdies erster „nicht überraschender“ Auftritt seit über drei Jahren: Ein Gespräch mit britischen Abgeordneten im House of Commons/ In einer neuen Kampagne versucht der Schriftsteller Druck auf die britische Regierung auszuüben  ■ Aus London Uta Ruge

Zum ersten Mal seit dem Mordaufruf des Ayatollah Khomeini vor über drei Jahren ist Salman Rushdie in einer Veranstaltung aufgetreten, bei der sein Erscheinen vorher angekündigt wurde und kein „Überraschungsauftritt“ war.

Das Treffen, das auf Initiative des Labour-Abgeordneten Mark Fisher zustande gekommen war, fand in einem Lobbyraum des Parlaments statt.

Schon am Montag und Dienstag hatte eine ähnliche Begegnung mit über hundert Abgeordneten des dänischen Parlamentes in Kopenhagen stattgefunden. Nach Auskunft der Direktorin der Organisation „Article 19“, Frances D'Souza, ist diese neue Offensive ein Versuch, durch parlamentarische und europäische Einbindung den Druck auf die britische Regierung zu verstärken. Der iranischen Regierung soll — und zwar möglichst mit einer einigen europäischen Stimme — klargemacht werden, daß es ohne Aufhebung der „Fatwa“ keine wirtschaftliche und diplomatische Normalisierung zwischen Iran und dem Westen geben kann.

Nach dem einstündigen Treffen mit den Parlamentariern, das Mark Fisher als „äußerst konstruktiv“ bezeichnete, stellte sich Rushdie der in einem Nebenraum wartenden internationalen Presse. Da die britischen und jetzt auch die deutschen Geiseln befreit sind, so Rushdie, müsse jetzt auch eine Normalisierung seiner eigenen Situation möglich werden. Daß er sich in jedem Fall jahrelang noch ständig über die Schulter nach hinten wird umsehen müssen, sei ihm dabei auch klar, da ginge es ihm nicht besser als Madonna — und die hätte vermutlich mehr Probleme damit als er. „Aber eine Gefahr, die von einzelnen Fanatikern ausgeht, ist ganz etwas anderes als das Risiko, das hochorganisierte, finanziell wohlausgestattete und profesionell arbeitende Terroristen darstellen.“ Es gehe hier um die Ächtung eines staatlich geförderten und finanzierten Terrorismus.

Über das Verhalten der britischen Regierung äußerte sich Rushdie vorsichtig optimistisch. Britische Diplomaten hätten gegenüber ihren iranischen Kollegen inzwischen mehrfach betont, daß vor einer vollständigen Wiederaufnahme der Beziehungen nach wie vor die ungelöste Rushdie-Affäre stehe.

Auch im Iran gebe es trotz Rafsandschanis zweideutiger Politik Anzeichen einer Entspannung: Der als „gemäßigt“ geltende Rafsandschani habe erstmals eine Mehrheit im iranischen Parlament, die dezidierten Hardliner hätten Parlamentssitze verloren, und im iranischen Rundfunk und Fernsehen kämen mehr und mehr auch schärfste Kritiker der „mittelalterlichen Mullahkratie“ zu Wort.

Frances D'Souza von „Article 19“ erklärte die Kampagne, die Rushdie auch bei den europäischen Politikern wieder ins Gedächtnis rufen soll. In Kopenhagen hat man sich mit einem Professor für Internationales Recht darüber unterhalten, ob eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag möglich wäre.

Offiziell ist eine solche Klage nur dem Land möglich, dessen Bürger betroffen sind. Dänemark jedoch könnte erklären, auch seine Bürger seien bedroht, da die „Fatwa“ auch allen Übersetzern und Verlegern gilt. Diese Option wird in Dänemark offensichtlich von einer starken Parlamentariergruppe unterstützt.

So wird deutlich, daß Rushdie, indem er in die europäischen Parlamente geht, Druck auf die britische Regierung ausüben will, die außer der Organisation des Personenschutzes nicht allzu viele Initiativen für den Schriftsteller ergriffen hat. „Unterstützung und politische Aktionen werden wir in Zukunft in den EG- Ländern suchen“, so D'Souza, „denn irgendeine Regierung muß die Führungsrolle im Kampf gegen die terroristische Bedrohung der Redefreiheit auf sich nehmen. Dann könnte auch die britische Regierung kaum tatenlos zusehen.“

Auf die Frage, wann er in verschiedene europäische Länder reise, winkte Salman Rushdie ab, er könne dies hier nicht diskutieren — und im übrigen brauche man immer auch zunächst eine Einladung. Ob auch deutsche Parlamentarier bereits Initiativen ergriffen haben, ist bisher noch unbekannt.