Piratenwellen über Wilhelmshaven

■ „Radio Überleben“ sendet begeistert illegal gegen AEG-Olympia-Schließung

Pünktlich um 17.15 Uhr meldeten sich am vergangenen Mittwoch die Radio-Piraten aus Wilhelmshaven zu Wort. „Hier ist 'Radio Überleben', Ihr Sender auf 100,4 Megahertz. Wir bringen einen Bericht zum SPD-Parteitag, Stimmen zum Sender und Nachrichten“, knisterte es aus den Radio-Empfängern an der Nordseeküste. In einem Kommentar mahnte das illagale Radio: „Auch die Besitzer der Produktionsmittel müssen Solidarität üben.“

Besitzer der Produktionsmitttel - das ist in diesem Fall der Daimler-Benz-Konzern, der im Oktober die Produktion von Büromaschinen im Olympiawerk Wilhelmshaven einstellen und 1.000 Beschäftigte entlassen will.

Gegen das Fabrikensterben an der Nordseeküste sendet „Radio Überleben“ seit dem 23. April — jeden Mittwoch eine Viertelstunde. Zum Radio-Team gehören vor allem Gewerkschafter und Betriebsräte.

Für die Post und die Wilhelmshavener Kriminalpolizei sind die unbotmäßigen Wellen eine Provokation. Der Sender ist ist ständig auf der Flucht, weil Peilwagen des „Bundesamtes für Post und Telekommunikation“ seinen Standort ausfindig machen wollen. Beim zweiten Sendetermin waren die Kripo — Beamten schon dicht vor ihrem Ziel: Nur die verschlossene Türe des Gebäudes, in dem der Sender stand, hielt sie zurück. So konnte das Sendeteam gerade noch flüchten, die Ordnungshüter fanden ein paar Kabel. Am 13. Mai jedoch war es soweit. „Radio Überleben“ sendete von der oberen Plattform des Wilhelmshavener Rathausturmes, als die Staatsgewalt das Programm abrupt beendete. Das Sendegerät wurde beschlagnahmt. Die drei erwischten Funker haben jetzt Ermittlungsverfahren wegen eines Verstoßes gegen das Fernmeldeanlagen-Gesetz am Hals. Vermutliche Strafe: einige tausend Mark. Doch die etwa 25 MitarbeiterInnen des Protest-Radios ließen sich nicht entmutigen. Sie kauften einen neuen Sender mit größerer Reichweite und folgen seitdem weiter ihrem Motto: „Gleiche Welle, andere Stelle“.

In und um Wilhelmshaven erfreut sich das unorthodoxe Radio großer Beliebtheit, und selbst die Polit-Prominenz in Hannover scheut nicht davor zurück, dem Piratensender Exklusiv-Interviews zu geben. Am vergangenen Mittwoch waren Niedersachsens Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) und Finanzminister Hinrich Swieters (SPD) auf der verbotenen Welle zu hören. Mit der hochkarätigen Unterstützung im Rücken fordern die Radio-MacherInnen jetzt die Niedersächsische Landesregierung auf, bei der Post die Einstellung der Verfolgung zu erwirken. Medienexperte Reinhold aus der Senatskanzlei erklärte: „Weder können wir den Sender genehmigen noch offiziell dulden.“ Hinter den Kulissen scheint sich etwas zu bewegen. Das Bundesamt für Post und Telekommunikation, Außenstelle Itzehoe, ist jedenfalls nicht mehr übermäßig eifrig auf der Suche nach den Radio-Piraten: „Wir schaffen es nicht, den Sender jedes Mal zu verfolgen, wir haben ja noch andere Aufgaben“, so ein Mitarbeiter. Hannes Koch