Videos mit anderem Blick

■ „De Ixtli“ zeigte lateinamerikanische Videos gegen europäische Vorurteile

„Früher filmten die Europäer uns ab und machten sich so ihre eigenen Bilder von Lateinamerika. Heute sagen sie unseren Künstlern, was sie von ihnen sehen wollen.“ Für Sabrina Farji gibt es noch schleichenden Kolonialismus: Das gilt sogar für die vielen gutgemeint kritischen Dokumentationen über die Auswirkungen der Militärdiktaturen. „Dieser Blick von außen auf unser Leiden hat für mich immer etwas Frivoles“, bestätigt ihre Kollegin Luz Zorraquin bei einem Presse-Gespräch in Bremen.

Sabrina Farji drehte ihr Video „Algunas Mujeras“ über ein Kind, das zusammen mit seinen Eltern von den argentinischen Militärs entführt wurde und nach der Demokratisierung von einer Verwandten wiedergefunden wurde, ausdrücklich als Gegenpol zum europäischen Blick: „In den Dokumentationen über diese verschwundenen Kinder wird die heile Welt von heute gezeigt, in der die Kinder wieder bei ihren Familien sind und singen und tanzen, aber für mich stimmt das emotional überhaupt nicht. Diese Kinder sind jetzt Teenager, die zornig sind, und ich wollte diese andere Seite zeigen.“

Die Allmacht des Fernsehens, die Überfütterung mit Bildern und die Illusion, daß die Erde zu einem elektronischen Dorf zusammenschrumpft — damit setzen sich viele der Videos auseinander: „Wieviel von dir kommt vom Fernsehen?“ fragt Sandra Kogut in „Parabolic People“. Die Videoaufnahmen von Passanten, die sich auf den Straßen von 6 Metropolen in 4 Erdteilen vor der Kamera auf verschiedenste Weise selbstdarstellen, wurden von ihr mit modernsten Computertechniken bearbeitet und zu elf jeweils drei Minuten langen Clips zusammengestellt. Sehr unterhaltsame, brilliant zusammengestellte Collagen, in denen der Zuschauer oft die Orientierung verliert. Kogut sagt dazu: „Keiner kann alles sehen oder verstehen. Selbst ich nicht. Ich frustriere absichtlich die Zuschauer, denn diese Überfütterung ist ganz typisch für das Fernsehen. Ich wollte erreichen, daß man nicht mehr erkennt, wo genau die gezeigten Leute herkommen. Oft sprechen sie ja nicht einmal ihre eigene Sprache.“ In „This Nervous Thing“ geht Eder Santos noch einen Schritt weiter: Worte und Bilder folgen so wirr und schnell aufeinander, daß jeder Sinn verlorengeht: „Das Resultat ist eben diese nervöse Sache: ein erregtes Stadium der Überstimulation und des oberflächlichen Erfassens“, analysierte der Kritiker Steve Seid. In Pablo Basultos: „Red For the Lips“ sind von der Ideologien und den Helden der kubanischen Revolution nur noch Ikonen übriggeblieben: das Bild von Che im Fernseher, auf Werbetafeln oder auf T-Shirts.

„Ich hatte große Schwierigkeiten, die Menschen davon zu überzeugen, daß wir sie nicht so benutzen wollten, wie die Kamerateams von der BBC oder dem ZDF“, erzählt Marie Clemence Paes. In ihrem Video „Aux Guerriers du Silence“ läßt sie ruhig und behutsam Mitglieder des nordbrasilianischen Stammes der Fului-O und des lappländischen Volkes der Saami von ihren Mythen, ihrem Leben und ihrer Vorstellung von Natur erzählen. Frau Paes sagt: „Wir wollten zeigen, wie diese kleinen Völker mit fast ausschließlich oralen Traditionen sich gegen die vorherrschenden Kulturen behaupten. Zuerst hat uns der große Kontrast zwischen den brasilianischen Sümpfen und der Eiswüste Lapplands gereizt, aber dann haben wir festgestellt, daß sie dieselbe Geschichte erzählen. In beiden Sprachen gibt es zum Beispiel nur ein Wort für Mensch und Natur.“ Wilfried Hippen