Vor der Tür

■ Herauskrakeelt: Jérôme Savarys „Marylin Montreuil“

Der junge Rapper aus der Pariser Vorstadt wird im Parkhaus von seinem Dealer erschossen, kurz zuvor hatte er noch in Raymonds Bistro einen Rap hingelegt, der das schräge Kneipenpersonal und die Besucher im Recklinghausener Festspielhaus froh stimmte. Nun liegt er tot hinter einer Reihe von Mülleimern, und Savarys aus Paris importiertes Spektakel Marylin Montreuil röchelt drei aufreibende Stunden mit Pauken und E-Gitarren seinem Ende entgegen. Sicher, es ist momentan schick, sich über Savary zu beschweren. Nach Marylin Montreuil fällt es allerdings auch schwer, es zu lassen.

Die Geschichte alleine verheißt nichts Gutes, in der die großen Sehnsüchte des blonden Marylin-Verschnitts, der abgestandene Rock einer Kneipenband und das Drama zweier falscher Flamencotänzer irgendwie mit dem Mord an dem Rapper verbunden werden. Das führt zu einer lauten und unwichtigen Konfusion mit einem zunächst Bistro-, dann Monte-Carlo-Bühnenbild, das so lieblos zusammengezimmert ist wie diese ganze Inszenierung.

Savarys Darsteller können immerhin singen, und die quirlige Diane Tell (die mit Savary auch das Script anfertigte) gibt eine ganz ordentliche, von mädchenhaftem Charme und leichter Vorstadtverkorkstheit gezeichnete Marylin ab, die über eine hübsche Singstimme verfügt.

Savary vertraut seinen Schauspielern nicht mehr und hängt ihnen selbst für die normalen Sprechpassagen Kopfmikrofone um. Das führt in Recklinghausen erstens dazu, daß der französische Text aus den Boxen und nicht von der Bühne kommt, und zweitens, daß nach der Pause so manches Knarzen einer geschüttelten Sendefrequenz das vorgeblich verlotterte Frankreich in eine große, verkabelte Tourneetheaterkatastrophe verwandelt.

Aber bis dahin ist sowieso schon alles hinüber. Der Rapper ist lange tot, die Musik klingt wie von 1975, und die dumme Geschichte wird nicht gestrafft, sondern heruntergeschwätzt und herauskrakeelt. Dazu sitzen auch noch an jeder Ecke im Zuschauersaal freundliche Frankophile, die anderen laut die Handlung erklären, worauf die (natürlich auch laut) sagen: „Ah, ja. Ich verstehe!“

Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Was ist eigentlich los? Ute Lemper, mit der Savary 1986 in Düsseldorf seinen triumphalen Cabaret- Erfolg feierte, findet sich trotzdem sexy und will alle anzeigen. Und Savary sitzt nach der Pause von Marylin Montreuil in seiner eigenen Inszenierung und macht ein Gesicht, als stünde Zadek draußen vor der Tür. Wenn der sich aber rechtzeitig in Paris die Marylin Montreuil angesehen hätte, wer weiß, womöglich hätte er den Blauen Engel noch selbst in den Himmel gehoben. Der kurze Applaus in Recklinghausen erspart dem Regisseur den Gang auf die BühneAlexander Gorkow