Sterben in Österreich

Zwei Uraufführungen: Harald Kislingers „Heimatstöhnen“ und Werner Schwabs „Offene Gruben — Offene Fenster“  ■ Von Dieter Bandhauer

Die ersten Minuten der Inszenierung Hans Gratzers von Harald Kislingers Heimatstöhnen im Schauspielhaus sind gewaltig. Die gesamte in diesiges Blau getauchte Bühne wurde von Martin Kraemer mit einer schrägen Fläche in Form einer Hausfassade bedeckt. Drei mal drei Fensteröffnungen geben den Schauspielern die Möglichkeit, die steile Spielfläche zu betreten, in den Öffnungen wie in Gräbern zu verschwinden. Lud, der verlorene Sohn, kehrt heim — aus Amerika, mit Cowboyhut und Metallkoffer. Der Vater, mit Mistgabel und bis zum Geschlecht reichenden Bart, schlägt den Ton des aus Blut und Boden geformten Stücks an — direkt, lapidar, bodenständig, artifiziell: „Jetzt kommst du zurück, nach tausend Jahren fast.“

Diese Sprache duldet keinen Widerspruch, auch wenn sie in Fragezeichen mündet: „Mutter tot./ Der Hof tot./ Das Land leer./ Und du da./ Warum?“ Eduard Wildner spielt keinen junggebliebenen Greis, der mit seiner Altersgeilheit kokettiert. Er ist eine groteske, alptraumhafte Figur, der zur Kenntlichkeit entstellte Heimatfilmbauer.

Der Sohn kehrt heim im doppelten Wortsinn: zurück ins oberösterreichische Mühlviertel, ins Vaterland; und zurück in die Muttererde, um gemeinsam mit dem Vater und der Magd zu sterben. Am Anfang war das Ende: „Ich bin da, weil ich auch das Ende suche, weil ich am Ende bin.“ Am Ende des Stückes — nachdem sie buchstäblich Erde als Todesdroge gefressen haben — vereinigen sie sich im Grab der Mutter. Durch Kislingers Stück weht eine Todessehnsucht — keine dekadente übersteigerte Melodie, vielmehr ein apokalyptischer Rhythmus.

Durchbrochen wird dieses Heim- ins-Erdreich-Drama von der in Rückblenden aufblitzenden Landflucht des einstmals fortschrittsgläubigen Luds, der als Computerspezialist in der Stadt reüssiert. Doch nicht die Ankunftsszenen zeigt Kislinger, auch dort den Abschied: von der Freundin in Wien, das im prominentengeilen Opernballglanz erscheint, und von der ewig schwangeren Ehefrau in New York, diesem „Lichtlärmneuzeitparadies“.

Doch in diesen Szenen führt die Aufführung allzu oft weg von der Groteske, hin zum Kabarett, ohne daß dies dem Regisseur anzulasten wäre. So irritierend der Text in seiner rücksichtslosen Heimkehrverkündung ist, so banal ist er in seiner Gesellschaftskritik.

Markus Hering als Lud aber turnt und taumelt nicht bloß mit Geschick zwischen den Fensteröffnungen herum, aus denen die Geister der Vergangenheit wie Schießbudenfiguren auftauchen, sondern hält auch das Gleichgewicht zwischen den ganz unterschiedlichen Szenen und verhindert so den Absturz des zuviel versprechenden Stückes.

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Während Harald Kislingers direkt zupackende Sprache immer wieder auch ihre artifizielle Schattenseite zeigt, versuchen Rainer Frieb und Ulli Maier, Werner Schwabs Kunstsprache einen Alltagston abzugewinnen. Schwabs Anweisung zu seinem im Rahmen des Donaufestivals in Krems uraufgeführten Stück Offene Gruben — Offene Fenster ist zwar von zweifelhaftem praktischen Wert, doch weist sie einen möglichen Weg ins poetisch Rätselhafte: „Man betrachtet das Gesprochene wie frisches Blut, das man in den Mund nehmen will, nachdem man sich verletzt hat.“

Offen bleibt, woher die mit Er und Sie bezeichneten Figuren kommen, wie sie zueinander stehen, unklar bleibt auch, wohin sie gehen. Klar aber ist, daß Beziehungen verletzen, Kommunikation weh tut. James Joyces Satz, daß „Freundschaft zwischen Mann und Frau unmöglich ist, weil es Geschlechtsverkehr zwischen ihnen geben muß“, könnte auch als Motto über Schwabs Stück stehen — wobei das Wort „Geschlechtsverkehr“ mit dem Wort „Kommunikation“ austauschbar ist.

Doch keine Verletzungen bei Schwab, die nicht ihre versöhnende Verdoppelung oder Wiederholung erfahren. In diesem Sinne agiert Eva Hosemann im glänzend graubraunen Hosenanzug mit eben solcher Gesichtsfarbe als pummelig androgynes Wesen, als sprachloses „Es/das Vehikel“ zwischen dem sich aufreibenden Paar. Sie ist der stumme Diener, der gute Geist, der pantomimische Mittler, der verstummte Vorwurf. Sie ist für Schwab „das dritte Ding, das entsteht, wenn zwei Personen versuchen, sich aufeinander zuzubewegen“. Sie ist aber auch eine peinliche Märchenfigur, die das wiedergutmacht, was das Sprechen aufgerissen hat. Sie ist die kitschig sprachlose Sehnsuchtsfigur eines Sprachberserkers.

Regisseur Stephan Bruckmeier, der einiges Geschick im Umgang mit Schwabs raffiniert zwischen Du- und Sie-Wort oszillierender Sprache zeigt — die sich hin und wieder aber in die Niederungen von Wortspielen wie „nieder und trächtig“ versteigt —, tut das seinige dazu, dieses Illustrationsvehikel theatralisch billig auszunützen. Ganz zu schweigen von der ins Gesicht geworfenen Schaumtorte.

Am Ende geht es wie im Heimatstöhnen auch in Offene Gruben — Offene Fenster ans Sterben. Auch die Erde kommt auf die Bühne — aus Kübeln wird sie auf den Boden geschüttet. Bei Schwab erfüllt die Erde mehr die Funktion eines Zitats, nicht einer alles beherrschenden Metapher. Dafür ist die Öffnung in der hinteren Bühnenwand, aus der Tisch und Bett für die einzelnen Szenen auf Schienen wie aus einem Bergwerkstollen gerollt werden, ein sprechendes und gar nicht hintergründiges Symbol, das sein gefräßiges Maul aufreißt. Die Fenster auf der Schauspielhausbühne waren da viel stiller und doch gefährlich präsent.

Harald Kislinger: Heimatstöhnen . Schauspielhaus Wien. Regie: Hans Gratzer; Bühne: Martin Kraemer. Mit Eduard Wildner, Markus Hering, Michou Friesz und anderen. Aufführungen: vom 24. bis 27. Juni, um 20 Uhr.

Werner Schwab: Offene Gruben — Offene Fenster . Donaufestival in Krems (ab September im Wiener Volkstheater). Regie: Stephan Bruckmeier; Bühne: Luise Czerwonatis und Gerlinde Thuma. Mit Rainer Frieb, Ulli Maier und Eva Hosemann.