„... den Hund nicht ans Ende der Sackgasse jagen“

■ Sulak Sivaraksa, einer der prominentesten Oppositionellen Thailands, zur Situation nach den blutigen Unruhen vom Mai

Professor Sulak mußte im vergangenen Jahr nach einer Rede, in der er das Militär öffentlich verurteilte, fluchtartig das Land verlassen. Der Sozialkritiker, Buddhist und Autor hat sich in Thailand durch sein Engagement in der Friedens- und Umweltbewegung einen Namen gemacht. Auf der Grundlage des Buddhismus kritisiert er den in den westlichen Modellen von Kapitalismus und Sozialismus innewohnenden Materialismus, der unvermeidlich zu einer Zerstörung der Umwelt und der menschlichen Beziehungen führen müsse. Bislang hat der thailändische Interimspremier Anand Panyarachun, der nach dem Massaker vom Mai dieses Jahres ernannt wurde, den Haftbefehl gegen Sulak nicht aufgehoben.

taz: Nach dem Massaker vom Mai ist eine nervöse Ruhe in Bangkoks Straßen eingekehrt. Was muß geschehen, damit sich die politische Situation entspannt und stabilisiert?

Prof. Sulak Sivaraksa: Über die politische Zukunft des Landes wird derzeit nur inoffiziell, hinter den Kulissen verhandelt. Die wichtigste Person ist meiner Ansicht nach General Prem Tinsulanon, der frühere Premierminister und Ex-Oberkommandierende der Armee. Obwohl er längst im Ruhestand ist, wird er wegen seiner engen Beziehungen zum König sehr hoch angesehen. Von seiner Einflußnahme hängt es ab, wie sich die Armee dem Hauptverantwortlichen des Massakers, General Suchinda, gegenüber verhalten wird.

Werden Suchinda und seine engen, korrupten Verbündeten weiterhin gestützt, könnte es leicht zu einem erneuten Putsch kommen. Gelingt es Prem jedoch, die Armee wieder an den Thron zu binden und die Soldaten von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß nur mit Ehrlichkeit und Integrität das Vertrauen des Volkes wiedergewonnen werden kann, wäre das sehr positiv und vor allem eine Voraussetzung für Frieden im Land. Noch nie in der thailändischen Geschichte war das Ansehen der Armee so schlecht wie heute, nach dem viertägigen Blutbad vom Mai.

Noch ist General Suchinda im Land, und immer lauter werden die Forderungen der Opposition, daß die Verantwortlichen für das brutale Vorgehen gegen Demonstranten bestraft werden müssen.

Suchinda selbst wird man vor Gericht keine Schuld nachweisen können, mit Sicherheit war er nicht so dumm, irgendwelche Befehle zu unterzeichnen. Außerdem hat der König ihm offiziell seine Schuld vergeben, und Suchinda hat genug Geld, sich ins Ausland abzusetzen. Und das wäre meiner Ansicht nach auch das Beste, was passieren kann. Wenn nämlich Suchinda und einige Top- Generäle das Land verlassen, kann der Premierminister mit einer vorsichtigen Reform der Armee beginnen.

Noch ist die Armee ein Staat im Staate, und seit Jahrzehnten hat sich das thailändische Militär daran gewöhnt, von allen Geschäften des Landes zu profitieren. Nicht nur im Waffenhandel, die Generalität in Thailand hat ihre Finger in allen Geschäften, sie verdienen an der Mark, die ein deutscher Tourist an eine Prostituierte zahlt genauso wie an der Abholzung der burmesischen Regenwälder. Es wird ein langer Prozeß sein, bevor sich die Soldaten aus der Wirtschaft und Politik zurückziehen und wieder in die Kaserne gehen.

Wird sich die thailändische Opposition mit solchen Kompromissen zufriedengeben?

Es gibt ein thailändisches Sprichwort, das sagt: man soll den Hund nicht bis ans Ende der Sackgasse jagen. Wer nicht gebissen werden will, muß dem Hund einen Ausweg lassen. Im Moment sind die Chancen für einen Putsch durch General Suchinda sehr ernst zu nehmen. Ich glaube, in der thailändischen Opposition überwiegen die pragmatisch Denkenden, die einen Gegenputsch mit allen Mitteln verhindern wollen, weil dann ein noch schlimmeres Blutbad bevorstehen würde.

König Bhumipol spielte einerseits eine ganz entscheidende Rolle als Vermittler während der Unruhen. Andererseits gilt er als „Gefangener im eigenen Palast“. Wieviel Macht hat er Ihrer Ansicht nach?

Er hat eher moralische als politische Macht. Aber ich glaube zum Beispiel, daß die Reform der Armee nicht ohne den König geschehen kann, vielleicht irre ich mich jedoch. Vor acht Monaten zum Beispiel hat Suchinda ein Treffen mit dem König nicht wahrgenommen, obwohl König Bhumipol wirklich an dem Dialog mit dem General interessiert war. Nach dem Massaker wurde König Bhumipol massiv kritisiert, er hätte mehr machen, eher eingreifen sollen. Aber er konnte es faktisch nicht, sein Handlungsspielraum ist nach thailändischem Recht sehr delikat formuliert.

Viele vergessen bei der Kritik am König, daß Bhumipol kein absolut herrschender Monarch ist. Und außerdem ist seine Position zum jetzigen Zeitpunkt alles andere als gefestigt. Ich bin sicher, daß ein Gegenputsch durch General Suchinda das Ende der konstitutionellen Monarchie für Thailand bedeuten würde. Das wäre eine Katastrophe, denn dann stände einer militärischen Willkürherrschaft nichts mehr im Wege.

Während der Massendemonstrationen in Bangkok stand der frühere Bürgermeister, Chamlong Srimuang im Mittelpunkt der Ereignisse. Als „Mr. Clean“ wurde er zu einer Art Kultfigur. Wäre er Ihrer Meinung nach ein geeigneter Kandidat für den Posten des Premierministers?

Chamlong hat genau wie Suchinda vor einigen Monaten beteuert, er habe nicht die Absicht, Premierminister zu werden. Wenn er jetzt wie der General sein Wort brechen würde, wäre seine Karriere endgültig beendet. In seinem Bauernkittel und mit seiner effektvoll zur Schau gestellten, asketischen Lebensweise eignet er sich natürlich vordergründig als Kultfigur, aber viele Demonstranten haben sich nach dem Ende der Unruhen von ihm verraten gefühlt. Man beschuldigt ihn eines extrem autoritären Führungsstils und fürchtet seinen Gefallen an persönlicher Macht. Außerdem arbeitet er viel zuwenig mit den regierungsunabhängigen Gruppen zusammen, um das Vertrauen der Opposition zu gewinnen.

Wie verhält es sich mit dem jetzigen Interimspremier, Anand Panyarachun? Vor der Wahl wurde er sowohl in Thailand wie auch im Ausland für seine dynamische Arbeit sehr gelobt. Ist er Ihr Favorit für die Neuwahlen?

Ich weiß nicht, wer ein guter Premierminister für Thailand wäre. Das ganze System ist in einer schlimmen Krise, die Politik ist korruptionsverseucht. Gut: Herr Anand hat diplomatische Fähigkeiten, und die ausländischen Journalisten liebten seine Weltgewandtheit und seinen „Cambridge accent“. Aber als Einzelperson kann er so wenig wie jeder andere etwas ausrichten oder verändern. Sein Erfolg hängt meines Erachtens davon ab, wie eng er mit Prem kooperiert, also wie sensibel er daran arbeitet, die Verflechtung von Militärs mit der Politik und Wirtschaft zu entzerren. Viel wird sich in den nächsten vier Monaten der Übergangsregierung zeigen. Während dieser Zeit hat Anand die Möglichkeit, seinen guten Willen unter Beweis zu stellen. Hoffentlich versteckt er sich nicht hinter dem Auftrag, als Übergangsregierungschef nur für Neuwahlen und innere Ruhe zuständig zu sein. Er müßte versuchen, so eng wie möglich mit allen starken Oppositionsgruppen zusammenzuarbeiten. Von den Gewerkschaften bis hin zu den buddhistischen Mönchsorganisationen. Ich fürchte allerdings, daß Anand die Opposition unterschätzt, sonst hätte er zum Beispiel längst das Einreiseverbot gegen mich aufgehoben. Interview: Dorothee Wenner