: Im Nahkampf mit dem Weltmarkt
■ Weil die Touristen nicht mehr nach Peru fahren, kam Angélica nach Berlin/ Messe »Partner des Fortschritts« als Verheißung/ Eine bittere Enttäuschung, 3.000 Dollar Schulden und eine neue Idee
Berlin. Von der Feria, der Messe in Berlin, hatte Percy in Lima gehört. Und war begeistert. »Gehen wir«, hatte seine Mutter gesagt, »wenn die Touristen nicht mehr zu uns kommen, müssen wir eben zu ihnen fahren.« Und sie packte ihre Bündel mit Alpaca-Pullovern und wollenen Handschuhen, bestickten Decken und gewebten Wandbehängen. Sie dachte sich eben, Berlin sei gerade so weit weg wie Lima.
Nun sitzt sie in der engen Ostberliner Wohnung in ihren zahllosen Röcken verloren auf dem Bett, ihre Beine reichen nicht bis zum Boden, ein Häufchen Elend vor der Tapete mit Blumenmuster. Die Pollera, der edle Überrock aus Brokatstoff, den sie sich eigens für die Reise gekauft hat, liegt neben ihr. »Es war Wahnsinn, herzukommen«, sagt sie mit schwacher, kleiner Stimme. 56 Jahre ist Angélica Chuquimia alt, und klein ist sie, vielleicht 1,40 Meter. Ihr schwarzes Haar, das zu zwei langen Zöpfen geflochten ist, wird an vielen Stellen bereits grau. Sie spricht Aymara, aber auch Spanisch. In Juli, ihrem Heimatdorf in den Anden, und in Puno, der nahen Stadt am Titicacasee, ist sie bekannt für ihre gute Artesania, ihr Kunsthandwerk. Und sie war sogar schon mit dem Papst im Fernsehen, als sie ihm bei seinem Besuch in Peru eine handgewebte Decke schenkte. Doch die Touristen kommen nicht mehr wie früher, wegen der Cholera und wegen des Terrorismus, und für Angélica Chuquimia ist es immer schwerer, ihre Handarbeiten zu verkaufen.
»Wir brauchen nicht hier in Peru eingesperrt bleiben«, hatte Percy, ihr ältester Sohn, gesagt. Und so waren sie gefahren. Die ersten drei Nächte in Berlin, bevor sie in der Wohnung in Prenzlauer Berg Aufnahme fanden, schliefen die beiden in der Bahnhofsmission, mit all ihrem Gepäck. Tags waren sie auf der Feria, waren sie einer von 1.202 Ausstellern auf der Berliner Import-Messe »Partner des Fortschritts«, Halle 8.1, Stand 22. Doch daß die Messe »ein wirksames Marketinginstrument für Unternehmen aus Ländern der Dritten Welt« ist, ging an Senora Angélica und ihrem Sohn genauso vorbei wie der »erfreuliche Zuwachs in der Fachbesucherakzeptanz«, den der Messeveranstalter AMK der Presse verkündete. Verkauft haben sie von ihren Sachen nur wenig.
Und der Weg nach Berlin war für Senora Angélica und Percy nicht nur lang, sondern auch kostspielig. Um die Reise bezahlen zu können, haben sie Schulden gemacht, 3.000 Dollar bei einer kleinen Kooperativbank in Puno, mit 18 Prozent Zinsen. Ein Vermögen. »Wir hatten ja den Glauben, daß wir hier zu besseren Preisen verkaufen können«, erklärt Percy immer wieder. Wenn seine Mutter jetzt zurückfliegt, wird er noch hierbleiben, wird versuchen, ihre Decken, Jacken und Souvenirs irgendwie doch zu verkaufen. Vielleicht kann er den Rückflug noch etwas hinausschieben. Er sagt, in Monschau, bei Aachen, könne er ein oder zwei Wochen in dem Restaurant seines Amigo Heinz arbeiten, der einst als Tourist drei Tage bei ihnen im Dorf gewesen war und seine Adresse dagelassen hatte. Denn in Peru 3.000 Dollar zu verdienen, das ist ein fast aussichtsloses Unterfangen.
Senora Angélica hat viel geweint in diesen Tagen. Und nachts kann sie nicht mehr schlafen, sagt sie. »Wenn ich sonst weggefahren bin, nach La Paz, nach Chile oder nach Lima, dann habe ich immer etwas für die Leute zu Hause mitgebracht. Aber diesmal...« Die Arme, die ihr in den Schoß fallen, und der wuchtige Kachelofen neben ihr lassen die alte Aymara-Frau noch schmaler erscheinen, als sie ist. Nur wenn sie in ihre Bündel und Decken greift, verschwindet ihre Verzweiflung und ihre Unsicherheit, ist sie auf vertrautem Terrain. Zielstrebig zieht sie das gesuchte Muster aus einem überquellenden Stapel, erklärt die Figuren und das Material, erzählt, wie man den Stoff webt, wie man die Wolle färbt, wie man die Verzierungen stickt.
Zwei Tage braucht Senora Angélica für ein Deckchen mit der Figur darauf, halb Mensch, halb Tier, das sie auf ihrem Schoß ausbreitet. Mit der Hand streicht sie über die Wolle. Für zehn Mark hat sie so eine verkauft. Und der große Wandteppich aus fester Schafswolle, das sind zehn oder zwölf Tage, es ist ja alles Handarbeit. Einen davon ist sie für 60 Mark losgeworden — Arbeitskraft als Ware ohne Wert. Nichts ist es mit den höheren Preisen. Peru-Folklore ist hier eine Mode der 70er Jahre, und Lama- Pullis sind out. Doch die beiden haben keine Wahl, sie müssen verkaufen. 700 Dollar hatte in Lima die Fluggesellschaft für das Übergepäck verlangt, und der deutsche Zoll noch einmal 690 Mark für die Einfuhr von Handelsware. Wieder mit zurücknehmen können sie die Sachen nicht.
Senora Angélica kommt ins Reden, erzählt stolz, wie sie als junges Mädchen eine der ersten im Dorf gewesen war, die Handarbeiten für den Verkauf hergestellt hat. Mit der Zeit haben sich fast alle in Juli umgestellt, ist der Tourismus zur Einnahmequelle Nummer eins geworden. Denn die kleinen Felder geben gerade genug für die Versorgung der Familie her, und oft nicht einmal das. In diesem Jahr herrscht Dürre, und bei den Touristen noch immer Flaute. Wie sie auf der Messe behandelt worden ist, das findet sie allerdings nicht richtig. »Wenn ich schon von so weit herkomme, dann muß man sich auch um mich kümmern. Nicht einmal eine Urkunde habe ich am Ende bekommen!« Percy lächelt verlegen über die Naivität seiner Mutter, daß sie eine Urkunde will, wo es doch um Verkauf und Geld geht. Er ist 40, der älteste der acht Geschwister, und arbeitet in Puno viel mit Ausländern, als Fremdenführer und bei archäologischen Ausgrabungen. Seit er 14 ist, hat er Koffer für Touristen getragen. Jetzt zählt er seine D-Mark-Scheine und rechnet, wieviel noch fehlt, um wenigstens alle Ausgaben abzudecken, die Schulden zu begleichen.
Percy hat schon eine neue Idee. In Juli, seinem Dorf, hat der Bürgermeister vor kurzem eine große Satellitenantenne aufgestellt, fürs ganze Dorf. »So sind die Leute«, sagt er, »sie haben kein anständiges Bett, aber einen Fernseher. So sind wir.« Auf den Gedanken ist er dann in Ost- Berlin gekommen, wo überall an den Häusern kleine Satellitenschüsseln kleben. In einem Laden hat er welche für 500 oder 600 Mark gesehen. »18.000 Dollar hat die Stadtverwaltung für die große bezahlt! Und in Puno gibt es reiche Leute, die wollen ganz sicher ihre eigene haben!« Vom Sturz des Messe-Abenteuers noch nicht wieder auf den Beinen, stürzt er vorwärts ins nächste. »Wenn ich jetzt hier eine kaufe und dort verkaufe, damit läßt sich ganz sicher ein Geschäft machen...« Bert Hoffmann
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