Pussys, Mönche und Zensur

■ Sieben AutorInnen und die Herausgeber der Anthologie AMLIT im Literaturhaus

Seltsam, die cut-upperin, die Underground-Autorin Kathy Acker im modernen, Ochsenbluttapeten-bespannten Literaturhaus an der Fasanenstraße zu sehen. Und auch den Ex-Punk, Dim Star Richard Hell, der sagt, daß er es war, der die Jonny-Rotten-Frisur als erster trug, der die Sicherheitsnadelmode als Attitüde aus New York importierte. Weil Lesungen sonst für mich oft was von Hausmusikabenden haben, war das am Freitag so schön anders. Es gab zwar nicht (wie angekündigt) Performances zu den Texten — das Konzept der fünf bis fünfzehn Minuten kurzen Short-story- pieces hat aber auch so funktioniert. Das sind einfach phantastische Geschichtenerzählerinnen. Ihre Sätze klar und präsent, nicht brutal- writing, aber auch nicht verschlungen, wenig künstlich. Nicht artsy- angespanntes Sätzeaufdrüseln, sondern halt zuhören. Nach der Lesung sollten die fünf Frauen und zwei Männer von sich erzählen und dann mit den Hörenden diskutieren.

Ann Rower, Lyrikerin und Performerin, liest: Midnight Clash, eine Vergewaltigungsgeschichte: vom Gesellschaftsspiel »Date-Rape« zum »Stranger-Rape«. Wie soll frau sich dagegen wehren? Ob das mit der ansteckenden Vaginalerkrankung funktioniert? Dann: Anal-Fick. Zur Polizei, Penetrationsarten fürs Gericht. Was bleibt, ist, die Geschichte zu veröffentlichen. Was daraus wird, nennt Ann Rower »Editor Rape«. Es gibt viel zu lachen, die Geschichte kleistert nichts zu, die Tatsache ist klar, darüber gibt es nichts zu lachen. Die Aufmerksamkeit wird auf Alltägliches, Skurriles gelenkt, wie das Parfüm, das »Power« heißt und Musk ist; das zeigt bekannte Verdrängungsroutinen.

Das ist ironisches Überleben in unzumutbaren Realitäten wie auch bei Sylvère Lotringer. Er liest über 1941, über Juden in Paris, über französische Familien — Picknick mitten im Krieg. Lotringer ist Mitherausgeber von AMLIT, eines Bandes mit »Beispielen der neuen Literatur aus den USA« (Untertitel). Und Herausgeber von Semiotext(e). Er hat sich vor allem auf den New Yorker Underground spezialisiert. Darunter Eileen Myles, die erst über die Schwierigkeit, eine Kennedy zu sein, spricht: »Ja, ick bin ain Kännädie. I'm your President.« Dann, mit looking out like a sailor über das Lesbenleben: »My life as a dyke«, in einer Familie, in der alle so aussehen, aber keine so ist. Dabei, das Leben einer pussy: »pussy in the middle of the trees«, die lustige, die nasse, die fernsehende, die kaffeetrinkende, die geleckte, die ... pussy.

Es wird viel über Sex und Amerika geredet, und die Diskussion hat vor allem die Zensur in den Staaten zum Thema. Weniger die direkten Verbote sind problematisch, die Möglichkeiten zu veröffentlichen werden immer geringer, weil Herausgeber, Verlage und Vertriebe sich mehr und mehr monopolisieren.

Es wird auch gefragt, warum in dieser Anthologie, die sich als Sammlung des amerikanischen Undergrounds versteht, vor allem weiße US-AmerikanerInnen erscheinen? Darauf weiß keiner der Herausgeber so recht eine Antwort, es gab eben keinen richtigen Kontakt zum hispanischen, afro-amerikanischen, indianischen und was auch immer Underground, sagt Gerhard Falkner, neben Lotringer Herausgeber der AMLIT-Anthologie.

Über den Präsidenten und den »Metallica, coke und drug way of life« (frei nach Chris Kraus) wird in den Texten gesprochen. Chris Kraus, Autorin und Filmemacherin, zeichnet die Lesereise auf, Arbeitstitel »New germany-as-seen-trough- American-Writers-Eyes«.

Es geht weniger um Messages, sondern Lebensgefühle, Environments werden vermittelt, selbstironisch. Wenn die Texte politisch sind, was sie meistens sind, dann sind sie das sehr direkt. Das verwirrt, wenn der Obermönch in Kathy Ackers de Sadescher Kloster-Fick-und-tue- Buße-Geschichte auf einmal »Bush« heißt und eine Frau hat und seine Tochter schwängert, weil er sie haßt und dieses Land in den Abgrund reißt. Der Mädchenmörder, der white minded Menstruationsblut- Fürchter, der Jesus Christ: Rette und segne meine Familie und die präsidialen Date-Raper-Rassisten- Söhne. Das Oberhaupt Bush vereint all die Ekligkeiten in seinem Kloster, das der Erzählerin zunächst so gut und unschuldig erschien. Am Ende gibt es die blutige Rache von Mrs. Bush und der toten Tochter, von der er sich ein lebendiges Baby aus dem toten Bastardbauch wünscht — Mr. Bush muß sterben.

Das liest Kathy Acker, mit hypnotisierenden Kopfbewegungen, manchmal, als wenn sie zu einem Kind sprechen würde, ungläubig unschuldig die Lippen geschürzt, die Janis-Joplin-Brille zum Drübersehn und den vergoldeten Schneidezahn zum betörend Blinken. Lustig wird es mit der Geschichte von Lynne Tillman, die den kerouacschen Ich-bin- ein-Kerl-Stil in Beats on the Beach persifliert. Sie liest in peitschendem Rhythmus von »all dem shit am Strand«, dem hart sein, cool sein, Mann sein. Und dann kommt die Persiflage zurück, trägt Springerstiefel und immer noch cheap sun-glasses: Richard Hell liest in der nölenden, schönen Art des Was-geht-mich- das-hier-an, hier ist mein Text. I'm a tear magnet, sagt der Mann in der Geschichte, die von diesen jungen Männern handelt, die man sich immer beim Aufwachen, auf der Bettkante sitzend mit den Händen durch das Haar streichend, die Zigarette und die 501 angelnd, vorstellt. Der Coole. Annette Weber