VERSPÄTETE GEBURTSTAGSGRÜSSE: „Ein Scheißhaufen, wie früher“
■ Vergangene Woche feierte Deutschlands auflagenstärkste Zeitung ihren 40./ Günter Wallraff ist zweifellos einer der intimsten Kenner der Jubilarin
taz: Herr Wallraff, lesen Sie täglich 'Bild‘?
Günter Wallraff: Schon lange nicht mehr. Ich mute mir das nicht mehr zu. Manchmal bekomme ich das Blatt jedoch zugeschickt, wenn sich 'Bild‘-Opfer an meinen Rechtshilfefonds wenden.
Geschieht das immer noch?
Der Rechtshilfefonds existiert weiter, aber der individuelle Rufmord durch 'Bild‘ hat nachgelassen. Ich habe den Eindruck, daß der jahrelange Kampf gegen das Blatt auf diesem Gebiet doch etwas bewirkt hat. Insgesamt agiert 'Bild‘ etwas gebremster, in der Aggression etwas gedämpfter. Dennoch, es ist derselbe Scheißhaufen, der nur etwas weniger stinkt. Das Blut, das früher in Strömen aus der Zeitung floß, ist heute geronnen.
Es gibt ja deutliche Entspannungssignale zwischen der 'Bild‘ und einigen linken Leitbildern. So schreiben Daniel Cohn-Bendit, Alice Schwarzer und Franz Xaver Kroetz schon mal im Blatt. Hat man Sie auch schon als Autor umworben?
Nein, aber man hat erst jüngst eine Art Stillhalteabkommen versucht. Ich hatte bei verschiedenen Gelegenheiten davon gesprochen, daß angesichts von 'Super‘ nun die Leser im Osten die freie Wahl hätten, sich zwischen Pest und Cholera, zwischen 'Super‘ und 'Bild‘ zu entscheiden. Danach kam tatsächlich von seiten der 'Bild‘-Chefredaktion die Anfrage, ob ich nicht in der Öffentlichkeit den Vergleich abmildern und statt dessen von Pest und Lungenentzündung sprechen könnte.
Ernsthaft?
Ja, gleichzeitig sprach man davon, daß sich 'Bild‘ — quasi als Gegenleistung — aus der Sache mit 'Super‘, die mich ja sozusagen als Erfindung der Stasi etikettiert hatte, raushalten werde. Der Vergleich zwischen Pest und Cholera, so hieß es, schade ihnen sehr.
Von Ihrer Seite also keine Vergebung für 'Bild‘?
Die haben Menschenleben auf dem Gewissen. So was verjährt nicht. Ich habe Abschiedsbriefe von Menschen, die von 'Bild‘ in den Tod getrieben wurden, von deren Rufmordgeschichten im wortwörtlichen Sinne zu Tode gekommen sind. In einem Fall konnte ich den Söhnen eines 'Bild‘-Opfers über einen Presseanwalt weit über 100.000 Mark Ausbildungsbeihilfe verschaffen, die 'Bild‘ zahlen mußte. Ihr Vater hatte Selbstmord begangen, nachdem Bild in einer erlogenen Jux-Geschichte über den tragischen Selbstmord seiner Frau berichtet und die tatsächlichen Umstände total verfälscht hatte. Davon gibt es einfach zu viele Fälle.
Einige linke Publizisten scheint das nicht zu stören.
Das müssen die mit sich selbst ausmachen. Ich finde es etwas naiv, zu glauben, man könnte in der 'Bild‘ seine Ansichten rüberbringen. Man muß doch das Umfeld beachten und sich vor Augen führen, daß das Blatt solche Stimmen gezielt zur Imagepflege veröffentlicht. Das machen die immer nur sehr dosiert in ruhigen politischen Zeiten. Wenn harte politische Propaganda angesagt ist, dann werden solche Alibi-Autoren erst gar nicht gefragt. Dann verfolgt 'Bild‘ seine reaktionären Ziele ungebremst wie eh und je. Vielleicht gab es unter dem jetzt gefeuerten Chefredakteur Tiedge den Versuch, politisch etwas ausgewogener zu werden und nicht nur das stupide Kampfblatt und Flaggschiff der ewigen Rechten zu sein. Das soll ja jetzt offenbar wieder anders werden.
Sie haben 1977 ein halbes Jahr als „Hans Esser“ die Zeitung von innen erlebt? Was war Ihre wichtigste Erkenntnis?
Daß es sich bei 'Bild‘ um einen geschlossenen Regelkreis, um eine Welt für sich handelt. Ein mafiaähnlicher Verein, der seine eigenen Gesetze macht, eine professionelle Fälscherwerkstatt, die selbst vor Einbrüchen nicht zurückschreckt und sich über alle sonst üblichen Regeln hinwegsetzt. Ich habe das als schlimmste Zeit meines Lebens empfunden, in so einer männerbündlerischen, feixenden, alkoholisierten Umgebung arbeiten zu müssen. Es war ein Selbstversuch in Form einer freiwilligen Gehirnwäsche. Mich hat entsetzt, daß ich selbst in dieser Umgebung partiell aufgeweicht und rübergezogen wurde. Irgendwann agiert man wie die anderen, denn man ist gezwungen, unter allen Umständen Geschichten zu fabrizieren. Andernfalls ist man weg vom Fenster. Das geht nicht ohne persönliche Beschädigungen ab. Schon nach sechs Wochen habe ich ganz automatisch von „wir“ gesprochen, wenn es um 'Bild‘ ging. Da stand ich schon nicht mehr neben mir. Meine damalige Freundin hat das oft spöttisch kommentiert und gesagt: „Wieder typisch Esser, wenn das der Wallraff wüßte.“
Ihrem damaligen Chef Schindelbeck ist Ihr Eindringen in die Hannoveraner Redaktion offenbar gut bekommen. Der ist aufgestiegen.
Der ist heute Politikchef. Zunächst wurde er kaltgestellt. Später schickte man ihn dann zur Frontbewährung nach Frankfurt, wo er mit der Vampir-Geschichte wieder einmal bundesweit in die Schlagzeilen geriet. Damals war 'Bild‘ bei einem Jugendlichen, der wegen des Verdachtes auf Drogenmißbrauch inhaftiert war, eingebrochen und hatte dessen private Fotos gestohlen. Die nutzte man dann, um den Jungen über Wochen zu einem blutrünstigen Monster, zum „Vampir von Sachsenhausen“ aufzubauen. Der Jugendliche wandte sich später an meinen Rechtshilfefonds und setzte gegen 'Bild‘ eine Schadenersatzleistung durch — leider nur 15.000 Mark. Schindelbeck wurde wegen der Geschichte verurteilt und stieg danach zum Politikchef auf.
Wieviel Prozesse hat 'Bild‘ gegen Sie angestrengt?
Dutzende. Das war eine Taktik des Springer-Konzerns, um mich in einem Prozeßkrieg in die Knie zu zwingen. Letztendlich hat das Bundesverfassungsgericht mir in einem Grundsatzurteil, das über den Einzelfall hinaus für die freie journalistische Recherche schlechthin von großer Bedeutung ist, aber Recht gegeben. Nach dem Urteil der Verfassungsrichter handelt es sich bei 'Bild‘ im übrigen um „eine Fehlentwicklung im deutschen Pressewesen“.
All das hat den Erfolg des Blattes aber kaum mindern können. 'Bild‘ verkauft sich nach wie vor gut.
Es gab zwischenzeitlich auch Einbrüche bei der Auflage. Insgesamt hat die Aufklärungsarbeit gewiß zu einem Ansehensverlust geführt. Das Blatt hat an Autorität eingebüßt. Die Leute lesen 'Bild‘ zwar noch, aber sie wissen, daß man dem Gedruckten nicht trauen kann. 'Bild‘ ist ja keine Zeitung, sondern eher eine Droge, und LeserInnen verhalten sich zum Teil wie Drogensüchtige. Das Image des Drecksblattes scheint 'Bild‘ abgestreift zu haben. Es spielen wieder alle bei 'Bild‘ mit. Nach meinem Eindruck gibt es überall in der Gesellschaft eine Entwicklung, sich mit der Macht zu arrangieren. Das würde ich nicht auf 'Bild‘ beschränken. Hauptsache, man ist im Gespräch, Hauptsache, man mischt mit. Interview: Walter Jakobs
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