FIS-Führer zwei Stunden vor Gericht

Algeriens Junta macht Islamisten den Prozeß/ Verfahren wird am 12.Juli fortgesetzt/ Behinderung der Verteidigung/ Keine ausländischen Journalisten und internationalen Beobachter zugelassen  ■ Von Oliver Fahrni

Als die Fallschirmjäger Ali Ben Hadsch am Samstag mittag aus dem Gerichtssaal schleppen, war der erste Versuch der algerischen Junta, sieben führenden Islamisten den Prozeß zu machen, gescheitert. Ali Ben Hadsch, der populäre Brandredner, halb Savonarola, halb Feuerkopf, Abassi Madani, der bedächtig formulierende, historische Chef der Islamischen Heilsfront (FIS), und fünf weitere FIS-Kader sind der „bewaffneten Verschwörung gegen die Staatssicherheit“ und des „Aufruhrs“ angeklagt. Sie riskieren die Todesstrafe.

Nach nicht einmal zwei Stunden vertagte der Militärrichter das Verfahren zunächst, ohne einen neuen Termin festzusetzen. Gestern teilte der militärische Ankläger dann mit, das Verfahren werde am 12. Juli fortgesetzt.

An ihren Prozessen sollt ihr sie messen, und die Junta General Khaled Nezzars hatte alles Erdenkliche vorgekehrt. Den 19 FIS-Verteidigern um den Menschenrechtskämpfer Abdenour Ali Yahia, dem keine Affinitäten zu den Islamisten nachgesagt werden können, wurde während der zwölfmonatigen Untersuchung immer wieder die Einsicht in die Dossiers der Anklage verwehrt. Vermuteter Grund: sie sind weitgehend leer. Entlastungszeugen wurden nicht gehört, die Verteidigungsrechte stark eingeschränkt.

Wenige Tage vor dem Prozeß ließ das Regime — Fingerzeig an die Presse — den Chefredakteur von 'Ech Chourouk El Arabi‘ und seinen Kolumnisten verhaften und das Blatt zumachen. Fotografen sind vom Prozeß ausgeschlossen, die internationale Presse, die Menschenrechtsorganisationen und die internationalen Beobachter blieben außen vor. Selbst der französische Glitteranwalt Jacques Vergès, ein alter Kämfer für die algerische Unabhängigkeit, durfte nicht ins Gerichtsgebäude.

Als die Anwälte die Mißhandlung der Angeklagten und die „systematische Vergewaltigung“ der Verteidigerrechte monierten und geschlossen aus dem Gerichtssaal zogen, war der Spuk zu Ende. „Dieses illegitime Gericht ist eine Provokation gegen das algerische Volk“, sagte Ali Ben Hadsch. Maitre Vergès nannte die Verschiebung „einen wichtigen Sieg der Verteidigung“.

Der Aufschub kommt freilich dem Regime zupaß. Vor wenigen Tagen mußte Premier Sid Ahmed Ghozali auf Druck der IWF-Experten, die in einer Suite des Hotels „Aurassi“ die wirtschaftlichen Geschicke Algeriens bestimmen, die Preise für die Grundnahrungsmittel freigeben — Milch und Öl schlugen sogleich um 100 Prozent auf. In den Wüstencamps, wo noch immer viele Tausende Opponenten interniert sind, hat das Sterben eingesetzt. Und in einer Woche feiert Algerien das 30jährige Jubiläum seiner Befreiung von den Franzosen. Eine brisante Mischung, fanden General Nezzars Berater; ein hartes Urteil gegen die FIS-Chefs hätte leicht den Aufstand lostreten können.

Und da war auch die Drohung von Maitre Ali Yahia, „die ganze Wahrheit über die Repression“ vor den Augen der Weltöffentlichkeit auszubreiten. Ali Yahia ist als Gründer der Menschenrechtsliga eine moralische Instanz von makellosem Ruf. Seine Warnung hat Gewicht. Sie zielte vor allem auf die Rolle der Premierminister: Mouloud Hamrouche und Sid Ahmed Ghozali.

Die Sache geht auf den Frühsommer 1991 zurück. Nach dem Sieg der Islamisten bei den ersten freien Lokalwahlen vom Juni 1990 war das Regime gezwungen, Parlaments- und Präsidentenwahlen anzusagen. Hamrouche suchte den Schaden zu begrenzen, indem er der Regierungspartei FLN ein Wahlgesetz auf den Leib schneiderte, das sowohl Islamisten wie auch die jungen demokratischen Parteien benachteiligte. Doch allein die FIS protestierte, erst mit Demonstrationen, dann mit einem Generalstreik. Hamrouche und Präsident Chadli Bendjedid sagten darauf in Geheimgesprächen mit Madani eine Änderung des Wahlgesetzes und vorgezogene Präsidentschaftswahlen zu.

Doch die Generäle sahen das anders, setzten Hamrouche ab und Ghozali ein, und kämpften den Generalstreik mit einer blutigen Repression (vermutlich mehr als 300 Tote) nieder. Auch Ghozali verhandelte. Er versprach, wie die Trotzkistin Louisa Hanoune, die als Entlastungszeugin geladen ist, berichtete, „wirklich freie Wahlen“. Doch dann ließ er die FIS-Chefs in den Militärkerker von Blida werfen. Die Wahlen wurden auf Dezember 1991 angesetzt und nach einem neuerlichen Sieg der Islamisten im ersten Wahlgang durch die putschenden Generäle abgebrochen.

FIS-Anwlat Ali Yahia: „Hamrouches, vor allem aber Ghozalis Verhalten ist ein zentrales Element.“ Ali Yahia wollte den Noch-Premier in den Zeugenstand rufen. „Das soll nur das internationale Ansehen Ghozalis schädigen“, antwortete der Militärstaatsanwalt.In Bab-el-Oued oder Belcourt, den Volksquartieren Algiers, wo täglich Anschläge gegen Polizisten oder Militärs verübt werden, sind bereits Flugblätter und Wandmalereien aufgetaucht, die den „Richtern der Scheichs“ den Tod versprechen.