Washington läßt alle Optionen offen

■ Noch ist die US-Regierung unentschlossen in der Frage einer Militärintervention in Bosnien — das Pentagon will GIs ohnehin nur zur Verteilung von Hilfsgütern entsenden

Ein Zeitungsartikel bestimmt nicht die Politik, aber ab und an hinterläßt er Spuren. Und kaum einer hat in den den letzten Wochen bei Kommentatoren, Lesern und Abgeordneten so viel Eindruck gemacht wie die Reportage eines 'New York Times‘- Korrespondenten über Vedran Smailović, jenen Cellisten, der in Gedenken an die Opfer jeden Nachmittag auf einer Straße in Sarajevo Albinonis Adagio spielt — wenn er noch lebt.

Möglich, daß man sich die Geschichte von Smailović auch im Weißen Haus erzählt. Sicher ist, daß man die mittlerweile fast geschlossene Front der Kommentatoren zur Kenntnis nimmt, die die eigene Regierung zu militärischem Engagement auffordert, um Sarajevo zu retten. Mit diesem öffentlichen Druck im Ohr und den letzten Wahlumfragen im Kopf, beriet US-Präsident George Bush am Freitag mit seinen Sicherheitsberatern, ob man im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Einsatz militärischer Gewalt beantragen sollte, um die Belagerung Sarajevos zu durchbrechen — am selben Tag, an dem in New York UN-Generalsekretär Butros Ghali den serbischen Verbänden sein 48stündiges Ultimatum gestellt hatte.

Im Weißen Haus behielt man sich nach dem Treffen alle Optionen vor. Allerdings ist offensichtlich, daß die Pro- und Contra-Stimmen bezüglich eines Einsatzes von US-Truppen klar verteilt sind: Das Pentagon — allen voran Verteidungsminister Dick Cheney und General Powell, Vorsitzender des „Joints Chiefs of Staff“ — will US-Soldaten nur zum Verteilen humanitärer Hilfe in Bosnien-Herzegowina sehen — und auch das nur dann, wenn bereits Waffenstillstand herrscht.

Im Pentagon legt man deshalb Wert auf die Feststellung, daß keinerlei Verbände in Alarmbereitschaft versetzt worden seien. Allerdings befinden sich zur Zeit Flottenverbände um den Flugzeugträger USS Saratoga im Manöver vor der Küste Siziliens.

Washington moniert Langatmigkeit der EG

Nach Lesart des Verteidigungsministeriums in Washington habe das nichts mit der Balkankrise zu tun. Es könnte jedoch schnell etwas damit zu tun bekommen, wenn es nach Sicherheitsberater Brent Scowcroft und vor allem US-Außenminister James Baker geht. Baker war es, der letzten Monat die neue harte Linie Washingtons gegenüber Serbien formulierte und Ende Mai massiv die Europäische Gemeinschaft dafür kritisierte, Belgrad nicht in die Schranken zu weisen.

Die neue Linie markierte offensichtlich den Versuch, in Europa wieder stärker Profil zu zeigen. Zwar wird fast täglich im Außenministerium und im Weißen Haus quasi obligatorisch darauf hingewiesen, daß die Krise am Balkan zuerst Sache der Europäer sei. Doch im gleichen Atemzug moniert man im State Department die langatmigen Entscheidungsprozesse der EG und deren Unfähigkeit, den Krieg in Ex-Jugoslawien zu Ende zu bringen. Manche Beobachter spekulieren auch, daß Bakers Vorstoß eine Reaktion auf das deutsch-französische Joint- venture einer 35.000-Mann-Brigade ist, die in Washington von vielen als Versuch gewertet wird, die Nato zu unterminieren.

In den US-Medien ist man inzwischen dazu übergegangen, Analogien zum Golfkrieg herzustellen. Serbiens Präsident Milosević wird immer häufiger mit Iraks Diktator Saddam Hussein verglichen. Warnungen, ein militärisches Eingreifen könnte für die USA ähnlich verheerend enden wie im libanesischen Bürgerkrieg, sind längst verhallt.

Die patriotische Mobilisierung der Medien geht bislang allerdings kaum über die Grenzen Washingtons hinaus. Denn im Unterschied zu den politischen Insidern in der Hauptstadt und der vergleichsweise geringen Zahl der Leser der 'New York Times‘ und der 'Washington Post‘ ist Sarajevo auf dem europäischen Balkan für die meisten Amerikaner im Wahljahr jenseits des politischen Horizontes. Weshalb eine Intervention mit amerikanischer Beteiligung keineswegs Jubelstürme und Fähnchenschwenken hervorrufen dürfte. Um dieses Risiko weiß auch George Bush. Andrea Böhm, Washington