Ein bekannter Deserteur

■ 50 Jahre nach dem Todesurteil kämpft Ludwig Baumann um Rehabilitierung

Die meisten BremerInnen kennen ihn, haben ihn zumindest schon einmal gesehen. Zweimal wöchentlich läuft er mit einem Sandwich behängt als stiller Demonstrant gegen „Konsumterror“ durch die Innenstadt. Und immer, wenn neue Rekruten in die Kasernen einrücken, steht der 70jährige Ludwig Baumann im Bremer Bahnhof und warnt sie: „Laßt Euch nicht mißbrauchen.“

Ludwig Baumanns Aktivitäten wären nicht denkbar ohne ein „Feldurteil“, daß heute vor 50 Jahren über ihn erlassen wurde. „Die Flucht von der Fahne ist und bleibt das schimpflichste Verbrechen, das ein deutscher Soldat begehen kann. Die Feldgerichtsbarkeit mußte deshalb auf die Todesstrafe erkennen“, urteilte am 30. Juni 1942 das Gericht des deutschen Marinebefehlshabers Westfrankreich in Bordeaux.

In der Nacht zum 4. Juni waren die Gefreiten Baumann und Oldenburg aus der Kaseren in Lormont geflohen. Ihr Ziel: Die von den deutschen nicht besetzten französischen Gebiete. Doch sie kamen nicht weit. Grenzposten der Wehrmacht hielten sie an. Von den in der Kaseren gestohlenen Waffen machten die beiden Deserteuere keinen Gebrauch.

Vier Monate saß Baumann in der Todeszelle. Kurz vor seinem Abtransport ins KZ Esterwege erfuhr er, daß die Todesstrafe im August auf dem Gnadenwege in eine zwölfjährige Freiheitsstrafe umgewandelt worden war. Baumann saß dann im Wehrmachtsgefängnis in Torgau bei Leipzig und mußte schließlich im „Bewährungsbataillon 500“ an der Ostfront Dienst tun.

Die zweite Wende in seinem Leben fand im Jahr 1966 statt. „Ganz unten“, so erinnert er sich, war er damals. Er hing an der Flasche und lebte „wie ein Penner.“ Da starb seine Frau bei der Geburt des sechsten Kindes. Baumann kümmerte sich fortan um seine Kinder, fand Arbeit als Vertreter, begann sich intensiv mit seiner Deserteursgeschichte auseinanderzusetzen, wurde darüber politisiert und zum stillen aber zähen Mahner gegen alles Militärische.

Zäh ist Baumann auch im Umgang mit den Behörden. Seit vielen Jahren kämpft er darum, daß die Opfer der nationalsozialistischen Wehrmachtsjustiz denen von Sondergerichten verurteilten gleichgestellt werden — bis heute vergeblich. Zwar hat das Bundessozialgericht im letzten Jahr der Witwe eines Deserteurs einen Rentenanspruch zugesprochen, zwar hat Sozialminister Norbert Blüm dieses Urteil inzwischen umgesetzt, doch getreu dem Motto „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“, verweigert das Bundesjustizministerium immer noch die Anerkennung aller Deserteure als politisch Verfolgte und damit den Rechtsanspruch auf eine finanzielle Entschädigung.

Doch Baumann bleibt hartnäckig. Er hofft, daß die SPD im Bundestag eine Initiaive zur späten und vollständigen Rehabilitierung der Wehrmacht-Deserteure startet und hat auch vereinzelt positive Resonanz in anderen Parteien. So hatte sich beispielsweise Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth in einem Gespräch mit Baumann den Forderungen der Deserteure gegenüber aufgeschlossen gezeigt.

Und wenn der Bundestag nicht aktiv wird? Dann bliebe, 50 Jahre nach dem Todesurteil, nur noch der Gang zum Bundesverfassungsgericht. Mindestens fünf Jahre würde es aber bis zu einer Entscheidung dauern — Jahre, die die meisten der noch lebenden Deserteure kaum mehr haben. „Dann“, sagt Ludwig Baumann, „dann sind wir alle tot.“ hbk