KOMMENTARE
: Symbol Sarajevo

■ Manchmal leben Politik und Moral doch in einer Welt

Es gibt sie also noch, die faktische Kraft des Symbolischen. Da gibt der bosnische Präsident in seiner belagerten Stadt einem vorbeireitenden Boten (in diesem Fall dem Philosophen Bernard-Henri Lévy) eine Depesche mit auf den Weg nach Paris: „Wir sind heute das Warschauer Ghetto. Wird man es noch ein zweites Mal sterben lassen?“ Und wenig später, das Ultimatum der UNO tickt langsam aus, schwebt ein Hubschrauber „Vendome“ ins Zentrum des Geschehens, Mörser schießen Salut nicht nur zum Schein, und der Fürst schreitet über die Marschall-Tito-Straße, wo vor einem Monat unschuldige Passanten und vor exakt 78 Jahren ein Thronfolger ermordet wurden; vielleicht in stiller Hoffnung, ein neuer Franz Ferdinand zu werden; ganz gewiß im vollen Bewußtsein, der Welt und vor allem den Amerikanern zu zeigen, was Frankreich unter dem diffusen Terminus „Recht auf Einmischung“ verstehen kann.

Mitterrand hat sich monatelang geweigert, in den Serben die Alleinverantwortlichen zu sehen. Da waren die traditionellen Alliancen zwischen Frankreich und Serbien. In Sarajevo sagte er: „Man kann nicht das gleiche Maß anlegen an die, die eine Stadt beschießen, und die Bewohner der Stadt, die unter den Schüssen leiden.“ Eine Selbstverständlichkeit. Aber eben nicht in einer Kabinettssitzung ausgesprochen, sondern dort, wo es nicht selbstverständlich ist: mitten unter den Opfern. Was das ist? Das ist Solidarität.

Natürlich, Rudolf der Franzosenfresser wird in seinem 'Spiegel‘ gewiß wieder nur eines sehen: einen alternden Präsidenten, der unter dem staubigen Banner der „Grandeur“ ein einsames Menuett tanzt, während die Musik ganz woanders spielt. Im Zweifelsfall im Bonner AA. Armer Rudolf. Genau dazu braucht es doch Courage und französische Finesse: die Gelegenheit für den symbolischen Akt zu wittern und wahrzunehmen. Es bedarf eines Gespürs für historische Parallelen, eines Feingefühls für die richtige Dosis an Pathos und Inszenierung. Und dazu die alte, so ureigen französische Idee der universellen Verantwortung. Oft nur ein Diskurs, natürlich. Aber wo, wenn nicht in Sarajevo am 28.Juni 1992, wäre er am rechten Platze? Welcher Kohl oder Kinkel wäre denn nach Sarajevo geflogen?

Politik braucht Bilder, um sich zu legitimieren. Das Bild von den Bewohnern Sarajevos, die aus den zerschossenen Fenstern ihrer Häuser heraus diesem kleinen Großen zujubelten, war eines davon. Es zeigte für einen Augenblick, daß Politik und Moral nicht immer zu unterschiedlichen Welten gehören müssen. Gestern morgen begannen die serbischen Truppen ihren Abzug vom Flughafen in Sarajevo. Alexander Smoltczyk, Paris