DEBATTE
: Zu schön, um wahr zu sein

■ Noch ist Südafrika nicht verloren

Seit der historischen Rede von Staatspräsident de Klerk am 2.2. 1990 fingen die Südafrikaner langsam an zu glauben, daß das Unmögliche tatsächlich geschah: Unterdrücker und Unterdrückte, Schwarz und Weiß, Regierung und Befreiungsbewegung waren dabei, eine friedliche Vereinbarung auszuhandeln, die Demokratie verheißen sollte, Wohlstand und ein Ende von Isolation und Sanktionen. Die Führer der herrschenden Nationalpartei und der Afrikanische Nationalkongreß schienen überraschend gut miteinander auszukommen, mehrere Abkommen waren schnell unter Dach und Fach, sogar die Suspendierung des bewaffneten Kampfes. Man formierte die „Conference for a democratic South Africa“ (Codesa), während viele stundenlang vor ihren Fernsehern saßen, um alten Feinden zuzuhören, die Versöhnung und eine neue, gerechte Gesellschaft predigten. De Klerk und Nelson Mandela wurden so zu Symbolen einer neuen Hoffnung. Mandela nannte de Klerk gar „einen Mann von Integrität“, de Klerk wiederum sprach von seinem Respekt für den anderen. Nacheinander hob man die Sanktionen und Boykotte auf, konnten Ausländer ins Land, durften berühmte Künstler wie Paul Simon und Whoopi Goldberg Südafrika besuchen. Ja, zum ersten Mal seit 30 Jahren wurde ein Team für die Olympischen Spiele zusammengestellt.

Allmählich nahm so de Klerks Entwurf eines „neuen Südafrika“ Konturen an und wurde auch vom Ausland unterstützt. Als dann auch noch mehr als zwei Drittel der weißen WählerInnen im März-Referendum mit ihrem Ja für de Klerks Pläne stimmten, da ergriff der Enthusiasmus auch immer mehr die schwarze Bevölkerung.

Die Fortschritte bei Codesa waren bemerkenswert — ANC und die NP schienen sich in allem einig zu sein. Fortschritt und Optimismus überlebten sogar die anhaltende Gewalt in den Townships, die sich mehrenden Beweise über die Verwicklung und absichtliche Passivität der Polizei. Selbst daß die Regierung den Erzrivalen des ANC, die Inkatha-Partei von Mangosuthu Buthelezi, unterstützte, schien dem Friedensprozeß keinen Abbruch zu tun.

Aber es war zu schön, um wahr zu sein. Plötzlich stoppte jeglicher Fortschritt im Mai, als die Nationalpartei auf einem „Veto“ in einem zukünftigen Parlament bestand. Als es also zum ersten Mal um einen konreten Machtverlust ging, da stellte die Minderheitsregierung auf stur. Schnell heizte sich die politische Stimmung auf, und der ANC verkündete, der einzige Weg des Protests gegen die Intransingenz der Regierung seien Massenproteste: Märsche, Demonstrationen und Streiks. Dann, einen Tag nach dem friedlichen Gedenken an den Schüleraufstand vom 16. Juni 1976 in Soweto, geschah es: das Massaker von Boipatong. Zulu-Bewohner eines Wanderarbeiterheims — wahrscheinlich Inkatha-Mitglieder — griffen das ANC-dominierte Township an, mindestens 40 Menschen wurden erschossen, erschlagen oder zu Tode gehackt. Anwohner sagten aus, daß die Attackierer mit Autos der südafrikanischen Polizei herbeigekarrt worden seien und trotz vorheriger Warnungen die Polizei erst nach dem Massaker erschienen sei.

Das schwarze Südafrika war außer sich. De Klerk stand unter großem Druck. Noch ist nicht klar, ob es Ignoranz oder Arroganz war, die ihn veranlaßte, persönlich in Boipatong aufzutauchen. Man verjagte ihn förmlich. Kurze Zeit später schoß die Polizei in die demonstrierende Menge und tötete vier weitere Menschen. Vergangenen Montag setzte der ANC die Gespräche mit der Regierung aus und zog sich von den Codesa-Gesprächen zurück. Er forderte die Einrichtung einer Übergangsregierung und ein Ende der „Terrorkampagne“ der Regierung. Eine große Paralyse machte sich breit.

Rückblickend war es jedoch mehr als naiv zu glauben, der Verhandlungsprozeß würde unumkehrbar gradlinig in Richtung Normalität und Versöhnung voranschreiten. Blind vor Optimismus und Wunschdenken unterschätzten viele im Land die tiefe Wut und Bitterkeit, die in all den Jahren des Rassismus, der Repression und der Armut wuchsen. Mit schönen Reden kann man das Erbe der Apartheid nicht beheben. Es gibt aber noch andere Lektionen, die man aus dem Zusammenbruch der Verhandlungen und auch des guten Willens lernen kann. Es kann jedenfalls keinen Frieden geben, keine Verhandlungslösung irgendeiner Art, wenn nicht etwas Entschiedenes getan wird, die Glaubwürdigkeit der Polizei herzustellen. Niemals war der Haß auf sie sichtbarer als in Boipatong. Die Glaubwürdigkeit einer Polizeimacht kann natürlich nicht über Nacht hergestellt werden. Deswegen geht für de Klerk auch kein Weg daran vorbei, eine internationale Überwachungsmacht ins Land zu lassen. Blauhelme sind unrealistisch. Aber eine internationale Beobachter- und Untersuchungs- Gruppe, die aus Juristen, Regierungsvertretern und Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen besteht, und von OAU, der UNO oder dem Commonwealth beschickt, ist die einzige Möglichkeit, kurzfristig eine Form von Frieden und Stabilität in unserem Land herzustellen.

Zwar gibt es keinen Zweifel, daß der Gewalt auch ein Machtkampf zwischen ANC und Inkatha zugrunde liegt. Die Sache ist aber viel komplexer, ein Produkt aus Jahrhunderten des Kolonialismus und Jahrzehnten der Apartheid. Hätten wir aber eine Polizei, die Kämpfe verhindern, Morde untersuchen und die Mörder vor Gericht bringen würde, nicht ein Viertel des Blutes der vergangenen zwei Jahre wäre vergossen worden.

Auch der ANC hat eine bittere Lektion gelernt: die Kluft zwischen der Basis und der Führung ist gefährlich groß geworden. Die Verhandlungen wurden nur noch als Gemauschel zweier Eliten hinter den Kulissen gesehen. Da die Gespräche nie das Leben der normalen Menschen in den Townships oder auf dem Land berührten, ist das Vertrauen in den ANC stark geschwächt. Am meisten hat jedoch de Klerks Image gelitten. Schwer sich vorzustellen, wie er jemals wieder ähnliches Prestige und Anerkennung erlangen will wie vor einem Jahr. Er wollte die Veränderung, hat aber immer noch nicht eine Mehrheitsregierung der Bevölkerung akzeptiert. Er will dem ANC Verantwortung übergeben, aber keine wirkliche Macht, und der ANC will Macht, aber keine Verantwortung. Eine verlorene Chance für de Klerk, denn vor einem Jahr hatte er alle Voraussetzungen in der Hand, die Weißen Südafrikas in die Demokratie zu führen.

Aber noch ist nicht alles verloren. Die Verzweiflung der letzten Wochen hat einen nachhaltigen Effekt auf alle Bevölkerungsteile. Man spürt das Gefühl für die dringende Notwendigkeit, die politische Temperatur abzukühlen. Wenn mit der Hilfe der internationalen Gemeinschaft die Gewaltspirale zurückgedreht werden kann, wenn die Nationalpartei lernt, Kompromisse zu akzeptieren und bereit ist, bis spätestens zum Ende des Jahres eine Übergangsregierung einzurichten; wenn Buthelezi als erster Aggressor ausgeschaltet werden kann und wenn der ANC bereit ist, die Massen zu führen, statt ihnen nur zu gefallen, dann könnte Südafrika zurück auf die Straße zu Demokratie und Versöhnung finden. Diese Straße aber ist länger und holpriger, als viele von uns noch vor einem Jahr dachten. Max du Preez

Herausgeber der linksliberalen afrikaanssprachigen Wochenzeitung 'Vrye Weekblad‘