Milosević' Regime hält dicht

■ Trotz weiterer Demonstrationen wackelt das serbische Regime nicht/ Zwar soll Milosević selbst amtsmüde sein und an Rücktritt denken, doch die Nomenklatura aus Belgrad will ihn halten

Budapest/Berlin (afp/taz) — Auch gestern gingen in der serbischen Hauptstadt die Proteste zum Sturz des serbischen Präsidenten Slobodan Milosević weiter. Tausende versammelten sich vor dem Parlamentsgebäude. Doch nach wie vor scheint der Präsident fest im Sattel zu sitzen. „Wir sind tief enttäuscht“, sagte ein Oppositionssprecher am Montag in Belgrad nach Besuchen bei Republikspräsident Slobodan Milosević, Regierungschef Radovan Bozović, Parlamentspräsident Aleksandar Bakocević sowie im staatlich kontrollierten Fernsehen.

Die Opposition verlangt den Rücktritt des Präsidenten, eine Beteiligung in einer „Regierung der nationalen Rettung“, einen „Runden Tisch“ sowie die Neuwahlen für ein verfassunggebendes Parlament. Die Sozialisten hatten erklärt, sie sähen sich trotz der 100.000 Demonstranten am Vortag nicht zu einer Änderung ihres Kurses bereit, deuteten jedoch die Möglichkeit der Errichtung eines Runden Tisches an. Milosević soll auch Wahlen in Aussicht gestellt haben. „Das ist ein Manöver, um Zeit zu gewinnen“, erklärte ein Oppositionspolitiker.

Glaubt man dagegen der kritikfreudigen Tageszeitung 'Borba‘, so sei Milosević selbst durchaus bereit, zurückzutreten. Der Präsident habe schon längst mit Generalstabschef Zivota Panic über seinen Rücktritt gesprochen. Aber die Generalität wolle dies nicht — aus Angst vor einem Machtvakuum und vor dem eigenen Untergang.

Auch Vuk Drasković, ein wichtiger Politiker in dem Oppositionsbündnis DEMOS, scheint dieses Problem erkannt zu haben. Doch er konnte und wollte dem Präsidenten keine Brücken bauen. Er schlug gestern radikalere Töne an. Er rief alle Soldaten und Freischärler, Polizisten und Generäle dazu auf, nicht mehr dem alten System zu dienen.

In bezug auf Bosnien scheint die Haltung der serbischen Opposition klargestellt. Drasković formulierte dies so: Ohne Frieden in Bosnien kein Ende des Chaos in Serbien. Dies ist eine Parole, die immer mehr an Zugkraft gewinnt. Drasković rief sogar dazu auf, „Brücken für die nationalen Minderheiten zu bauen“, und zwar in Serbien selbst. So sollten auch Ungarn, Albaner und Moslems an der Übergangsregierung beteiligt werden. Der SPO-Chef verurteilte die „nationalistische Hysterie“, auf die Milosević seit fünf Jahren seine Macht gegründet habe. Die Führer der ehemals kommunistischen SPS dürften nicht an der Regierung beteiligt werden, so der Schriftsteller. Aber: „In ihren Reihen gibt es auch ehrliche Leute, und mit ihnen müssen wir reden.“

In der Bevölkerung sind die Meinungen geteilt. Zu viele Serben haben familiäre Beziehungen nach Bosnien und Kroatien, als daß sie sich mit der Idee eines „Kleinserbien“ anfreunden könnten, und nicht wenige Serben in der ungarisch besiedelten Wojwodina, dem islamischen Sandzak und albanischen Kosovo haben Angst. Verlöre das „Serbentum“ den Krieg in Bosnien, werde man auch diese zur Zeit unter serbischer Verwaltung stehenden Provinzen verlieren, so die Befürchtungen. Im Gegensatz zur Hauptstadt, wo die Opposition die Mehrheit hinter sich hat, zeigt sich diese Angst in der Provinz. Während in der Hauptstadt der Sturz von Milosević gefordert wird, gedachte man in den Kleinstädten der Niederlage des „Serbentums“ gegen den „Türkensturm“ am 26. Juni 1389. Und bei diesen Gedenkveranstaltungen hob man Milosević als Vaterfigur noch immer hoch.

Enttäuschend ist für die Belgrader Opposition außerdem, daß der französische Präsident Fran¿ois Mitterrand bei seinem Blitzbesuch mit keinem Wort die Friedensbemühungen „des anderen Serbien“ (Borba) erwähnte und sich von den Straßenprotesten in Belgrad anscheinend ungerührt zeigte. Enttäuschend ist widerum für die Bewohner Sarajevos, daß dieses „andere Serbien“ an diesem Tag kein Zeichen einer geschichtlichen Reflexion setzte: Wurde doch am 26. Juni 1914 in Sarajevo der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand von serbischen Nationalisten erschossen und versuchte das damalige serbische Königreich in der Folge Bosnien für sich zu annektieren. Die Menschen in Sarajevo hoffen bisher auch vergebens auf die Öffnung des Flughafens. Am Mittag war er noch immer dicht, doch sollen die serbischen Freischärler bereit sein, sich zurückzuziehen. Ankündigungen gab es schon oft. Roland Hofwiler