Hautmont: Mehrheit gegen „die Fremden“

87 Prozent der Einwohner der französischen Kleinstadt wollen ihre maghrebinischen Mitbewohner vertreiben/ Andere Bürgermeister wollen Hautmont nachahmen/ Grundlage für das Referendum ist ein neues Gesetz zur Dezentralisierung  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Mohamed Saifi will das Votum nicht glauben. „Die Leute von Hautmont sind nicht rassistisch“, beteuert der Sohn algerischer Einwanderer. „Zudem wurde die Auszählung nicht kontrolliert; es soll Wahlfälschung gegeben haben.“ Wie sollte es der 34jährige auch länger in seiner nordfranzösischen Geburtsstadt aushalten, wenn er das Ergebnis der Abstimmung vom Sonntag ernst nähme? Bei dem lokalen Referendum stellten sich 87 Prozent der Wähler hinter die Ausländerhetze ihres Bürgermeisters: Per Stimmzettel stempelten sie die Maghrebiner zu Sündenböcken für die enormen Probleme der Stadt.

Die Wahlbeteiligung war mit 68 Prozent ausgesprochen hoch. Bürgermeister Joel Wilmotte platzte fast vor Stolz, als er das traurige Ergebnis bekanntgab: „Hautmont hat den Mut bewiesen, den ich von dieser Stadt erwartet habe“, sagte er am Abend vor seinen Anhängern, die sich zu Füßen des Rathauses versammelt hatten. Wilmotte hatte das Verfahren geschickt eingefädelt. Als erster französischer Bürgermeister nutzte und mißbrauchte er ein Gesetz zur Dezentralisierung, das erst im Februar verabschiedet worden war. Es sieht vor, daß ein Bürgermeister die Wähler bei kommunalen Entscheidungen konsultieren kann. (In der Gesetzesvorlage war noch von „Einwohnern“ die Rede, was die AusländerInnen eingeschlossen hätte.)

Harmlose Fragestellung

Wilmottes Frage klang äußerst harmlos und unbedeutend, um, wie er in seinem amtlichen Bulletin erklärte, ein Verbot zu umgehen: „Ihr Bürgermeister hat kürzlich beschlossen, vor der staatlichen Gewalt die Probleme klarzustellen, die auf dem Gebiet der Gemeinde von Hautmont beobachtet wurden. Sind Sie damit einverstanden?“ Den BürgerInnen, die seine Absicht nicht verstehen sollten, halfen das Bulletin und ein spezielles Informationsdossier auf die Sprünge.

„Jetzt gehen sie entschieden zuweit. Ihren Bürgermeister kotzt es an“, so der Titel des Amtsblattes vom Mai. Darin prangerte Wilmotte die „perversen Folgen“ des „Pseudo- Familiennachzugs“ an, verglich die Geburtenrate von In- und Ausländern, unterstellte den Nordafrikanern, daß sie ihre Todesfälle nicht melden. Bei seinen Zahlenspielen erlaubte er sich einige Freiheiten. „18 Prozent der Bevölkerung sind maghrebinischer Abstammung. Die Toleranzschwelle, die ein Leben in Sicherheit erlaubt, ist überschritten“, beklagte Wilmotte gegenüber der taz. In Wirklichkeit liegt der Ausländeranteil in Hautmont bei 12 Prozent; Wilmotte rechnet Franzosen maghrebinischer Abstammung jedoch als Ausländer. Beim Familiennachzug zählte er die Anträge, nicht die genehmigten Fälle. So vertuschte er, daß der Nachzug in Frankreich streng kontrolliert wird; in Hautmont durften im vergangenen Jahr nur 21 Angehörige von sechs Familien nachziehen.

Wie er mit den Immigranten umspringen möchte, hat Wilmotte, der bis 1989 Mitglied der sozialistischen Partei war, bereits demonstriert. Im vergangenen September wollte er Einwandererkindern den Schulbesuch verbieten. Vor zwei Jahren schrieb er den algerischen und marokkanischen Vereinen der 18.000 Einwohner zählenden Stadt: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Landsleute davon abhalten könnten, sich im Stadtzentrum zu versammeln.“ Dort patrouillieren abends zwei Wachmänner mit Hund.

„Mit seiner Ausländerhetze lenkt er davon ab, daß er absolut nichts unternommen hat, um die wirtschaftliche Lage zu bessern“, meint Mohamed Saifi, der Wilmottes AnhängerInnen genau kennt. „Ich bin mit denen zur Schule gegangen. Sie sind arbeitslos und wollen den anderen Parteien Angst machen, damit endlich etwas passiert. Rassistisch sind sie eigentlich nicht.“

Die Stadt an der belgischen Grenze leidet unter enormen Problemen: Durch den Niedergang der Schwerindustrie ist die Arbeitslosigkeit auf 28 Prozent geklettert. 600 Familien leben von der Sozialhilfe. Der Ausländeranteil liegt doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt — schließlich hatte man die Nordafrikaner vor 30 Jahren als billige Arbeitskräfte in die Region geholt. Die rechtsextreme Front National, die im 1989 gewählten Gemeinderat nur zwei Sympathisanten hat, erzielte hier bei den Regionalwahlen vom März 30 Prozent. Es gibt Gerüchte, wonach der Generalsekretär der FN, Carl Lang, bei nächster Gelegenheit das Rathaus erobern will — zum Referendum machte er dem Bürgermeister seine Aufwartung.

Wilmotte hat seine Wette gewonnen. Den Gruppen, die im „Komitee gegen das Referendum“ zum Boykott der Wahl aufriefen, wurde bescheinigt, daß sie die Sorgen der Bürger nicht entkräften können. Das Komitee wurde unterstützt von linken Parteien, Grünen und Zentristen, von Menschenrechtsgruppen und von den 26 Pfarrern in Stadt und Umgebung. Wilmottes Gegner erwarten nun, daß das Verwaltungsgericht die Wahl innerhalb von zwei Wochen annullieren wird. Der zuständige Präfekt hat das Gericht vor dem Referendum aufgefordert, festzustellen, ob die Fragestellung gegen das Gesetz verstoße. Damit der Bürgermeister „nicht zum Märtyrer werde“, hatte es der Präfekt vermieden, die Prozedur zu beschleunigen.

Das Urteil kommt in jedem Fall zu spät, denn Wilmotte hat sein Ziel bereits erreicht. Schlimmer noch, er könnte Nachahmer finden. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich seinen Kampf unterstütze“, erklärte Pierre Bernard, Bürgermeister des Vorstadtghettos Montfermeil im Osten von Paris, vor der Abstimmung. „Das ist eine großartige Premiere. Fast alle Bürgermeister der 400 französischen Vorstadtghettos möchten so handeln wie Joel Wilmotte. Doch sie sind schwach und feige.“

Die BürgerInnen von Hautmont haben die Ausländerfeindlichkeit in Frankreich salonfähiger gemacht.