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Mietern droht neue Kündigungswelle

Heute urteilen die Obersten Gerichte über die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen bei Altbauten  ■ Von Eva Schweitzer

Berlin/Karlsruhe (taz) — Mietern westdeutscher Großstädte steht womöglich Bedrohliches bevor: Heute wird der gemeinsame Senat der Obersten Bundesgerichte entscheiden, ob Altbauten in den alten Bundesländern künftig leichter als bisher in Eigentumswohnungen umgewandelt werden dürfen. Sollten die Obersten Gerichte Umwandlungen künftig erleichtern, dann erwartet der deutsche Mieterbund eine Kündigungswelle wegen Eigenbedarfs.

Zum Hintergrund: in den letzten Jahrzehnten wurden in bundesdeutschen Großstädten Hunderttausende von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die Folge war, daß die neuen Eigentümer meist früher oder später ihren Mietern wegen Eigenbedarfs kündigten, was seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von vor drei Jahren auch leicht möglich ist. Ganze Stadtviertel, etwa München- Schwabing, Hamburg-Eppendorf oder das Frankfurter Westend wandelten sich so in Hochburgen der reichen Zahnärzte und der Schickeria. In Berlin beispielsweise wurden bis 1989 über 90.000 Wohnungen in Eigentum umgewandelt. Nur zehn Prozent dieser Wohnungen konnten von den Mietern erworben werden, ein gutes Drittel der Mieter wurde hingegen vertrieben. Wegen Eigenbedarfskündigungen — die in Großstädten fast nur Mieter von Eigentumswohnungen treffen — gibt es allein in Berlin 2.000 Prozesse im Jahr.

Schließlich fand die Münchner Stadtverwaltung einen Dreh, Umwandlungen zu unterbinden. Denn für die Umwandlung braucht der Eigentümer vom Bauamt eine sogenannte Abgeschlossenheitsbescheinigung. Die besagt, daß die Wohnung von den übrigen Wohnungen des Hauses hinreichend abgeschlossen sei, was den Schallschutz, die Wärmedämmung und den Feuerschutz angeht. Die Münchner legten nun an alle Wohnungen den Maßstab heutiger DIN-Normen an, ein Maßstab, dem Altbauwohnungen generell nicht genügen. Deshalb wurden bei Wohnungen älterer Bauart prinzipiell keine Abgeschlossenheitsbescheinigungen mehr erteilt. Dies wollte einer der Hauseigentümer, an den ein solcher Bescheid erging, nicht einsehen und zog bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dort bekam die Stadt München 1989 recht. Daraufhin wurde binnen kurzem die Münchner Regelung in fast allen deutschen Großstädten praktiziert.

Und sie hat Erfolg. In Hamburg etwa wurden noch 1984 gut 7.400 Abgeschlossenheitsbescheinigungen erteilt. Die Quote sank im Jahr 1991 auf nur noch 370 solcher Bescheinigungen. In München, wo nicht einmal Wohnungen aus den fünfziger und sechziger Jahren eine Abgeschlossenheitsbescheinigung bekommen, gingen ähnlich hohe Umwandlungszahlen um über 90 Prozent zurück. In Berlin sank die Umwandlungsquote binnen zweier Jahre auf ein Viertel.

Kurz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes kam jedoch der Bundesgerichtshof zu einem anderen Schluß: Der Maßstab, der an die Abgeschlossenheit einer Wohnung zu legen sei, sei der, der zur Zeit des Baus gegolten habe, und nicht der von heute. Diese Maßgabe des Bundesgerichtshofes wird in den neuen Ländern praktiziert. Deshalb können dort, befristet bis 1995, Wohnungen sehr viel einfacher in Eigentum umgewandelt werden. Dem steht aber in der Praxis entgegen, daß die Eigentumsverhältnisse der meisten Altbauten noch ungeklärt sind.

Nun wird der gemeinsame Senat der Gerichte urteilen, um zumindest in Westdeutschland zu einer einheitlichen Rechtsauffassung zu kommen. Falls dieses Urteil zuungunsten der Mieter entscheidet, muß der Gesetzgeber eingreifen, fordert der Mieterbund. Ob das geschieht, ist jedoch fraglich: So hat Hamburg vor längerer Zeit einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, nach dem Abgeschlossenheitsbescheinigungen künftig generell nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts erteilt werden sollen. Der Antrag wurde zwar vom Bundesrat angenommen, im Bundestag wurde er jedoch bisher nicht behandelt. Man wolle, so der baupolitische Sprecher der CDU, Dr. Kansy, das Urteil erst abwarten.

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