Krebsgefahr bei Bayer in Südafrika

Südafrikanischer Arzt erhebt schwere Vorwürfe gegen Tochterunternehmen der Bayer-AG/ Löcher in der Nasenschleimhaut durch Chromverarbeitung/ Chrom-Giftmüll neben Kanal gekippt?  ■ Von Michael Blum

Frankfurt/Main (taz) — Schwere Vorwürfe gegen den Chemiemulti Bayer Leverkusen erhebt der südafrikanische Arzt Dr. Mark Colvin. Mindestens ein Drittel der Belegschaft von Chrome Chemical (CC), eine hundertprozentige Bayer-Tochter in der Nähe von Durban in Südafrika, sei infolge ihrer Tätigkeit in der Chromverarbeitung schwer erkrankt, mehrere Menschen seien an den Folgen von Lungenkrebs verstorben. Der größte Teil der Produktion wurde 1991 stillgelegt, heute sind noch 45 Menschen bei CC beschäftigt. Der Arbeitsmediziner von der Universität Natal forderte in einem Gespräch mit der taz umfangreiche Untersuchungen.

Wie aus werksinternen Berichten zu entnehmen sei, litten 1991 34 Prozent der ehemaligen 129 Arbeiter an Nasenscheidewandperforationen (Löcher in der Nasenschleimhaut). Colvin: „Bevor Löcher durch die ätzenden Chromate entstehen, bilden sich Geschwüre.“ Bei ersten Anzeichen solcher Geschwürbildungen müßten Arbeiter an einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden. Nicht so bei CC: Obwohl Werksärzte die Anfänge der Krankheit und deren Verlauf akribisch aufgezeichnet hätten, seien die Arbeiter auch weiterhin hohen Chromstaub-Verunreinigungen ausgesetzt gewesen. Die Geschwüre hätten sich durch den Nasenknorpel gefressen: „Die Mehrzahl der Arbeiter hat fingergroße Löcher in der Nase.“

Das größte gesundheitliche Problem allerdings, das Chromate erzeugen, ist laut Aussage des Mediziners Lungenkrebs. Bis heute rechnet Colvin acht Todesfälle Krebs zu. „Wir vermuten allerdings, daß es sich dabei nur um einen Bruchteil der tatsächlichen Fälle handelt“, befürchtet der Medinziner. Der Krankheitsverlauf sei schwer nachprüfbar, da die schwarzen Arbeiter nach ihrer Entlassung in die Homelands zurückgekehrt und dort wahrscheinlich verstorben seien. Allein von den ehemals 25 Weißen, die bei CC beschäftigt waren, seien nachweislich fünf an Krebs gestorben. Im Gegensatz zu Deutschland, wo Lungenkrebs als arbeitsbedingte Krankheit in der Chromverarbeitung seit 1936 anerkannt ist, gibt es in Südafrika keine Entschädigung für Erkrankte beziehungsweise Hinterbliebene. Bisher hat erst ein südafrikanischer weißer Arbeiter eine Entschädigung aus einem Industriefonds für seine durchlöcherte Nasenschleimhaut erhalten. Ganze 208 Rand (umgerechnet 125 DM) bekam er 1992 zugesprochen — gerademal genug für zwei Monate Cortison-Behandlung, die wie alle medizinischen Leistungen in Südafrika vom Patient selbst bezahlt werden muß. Der Mann ist seit 20 Jahren in ärztlicher Behandlung und hat — um seine Asthma-Behandlung bezahlen zu können — noch bis April 1991 gearbeitet. Die 125 DM entsprechen drei Prozent des Einkommens bei Krankheitsbeginn vor 20 Jahren. Entschädigungen für weniger verdienende Schwarze würden demnach noch kleiner ausfallen.

Die CC-Geschäftsleitung weigert sich Colvins Angaben zufolge hartnäckig, Informationen über Chromstaubkonzentrationen vorzulegen. „Trotzdem wissen wir, daß diese extrem hoch gewesen sein müssen: Arbeiter berichteten, daß sie vor lauter Staubwolken nur wenige Meter weit sehen konnten.“ Ungeachtet dessen seien selbstverständliche Arbeitsschutzmittel wie Atemmasken erst vor wenigen Jahren ausgegeben worden.

Über das individuelle Leid hinaus hat, so besteht der Verdacht, CC auch eine drohende Umweltkatastrophe auf dem Gewissen: „Der chromhaltige Giftmüll wurde neben einem Kanal abgekippt, und aus dem Müllberg gelangen hochbelastete Sickerwässer ins Meer.“

Colvin fordert von Bayer die Verantwortung für die Vorfälle voll zu übernehmen. In der südafrikanischen Tochtergesellschaft soll Bayer die gleichen Arbeitsschutzmaßnahmen wie in Deutschland einsetzen und mit einem Fonds Untersuchungen der ehemaligen Belegschaft finanzieren, Entschädigungen zahlen und Firmengelände sowie Müllkippe sanieren.

Während „medico international“ zur Durchsetzung des Forderungskataloges eine Kampagne vorbereitet, weist Bayer die Vorwürfe zurück. Konzernsprecher Reinert erklärte, daß Bayer die gesamten CC- Anteile erst 1974 übernommen und danach die Produktionstechnik und die medizinische Betreuung ständig verbessert habe. Nach der Schaffung von Arbeitsbedingungen, wie sie den Forderungen der Gesundheitsbehörden entsprächen, seien die Nasenscheidewand-perforationen drastisch zurückgegangen.