ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Vom Gun Club zum Blues: Jeffrey Lee Pierce

Er war schon immer einer der letzten wahren Sachwalter amerikanischer Musiken. Jeffrey Lee Pierce benutzte seine Band Gun Club dazu, die Wurzeln amerikanischer Populärmusik, mithin des Rock'n'Roll, behutsam in die Jetztzeit zu überführen, was in diesem Fall bedeutete, sie im Geist der Zeit nach Punk zu spielen. Die erste Gun-Club-LP Fire of Love hatte den Blues zum Thema, die zweite Miami Country, und bei der dritten Las Vegas Story war die Band schließlich beim Rock'n'Roll angekommen. Alles fein säuberlich getrennt, aber doch immer Gun Club.

Danach beschränkte sich die Band auf die Sicherung des Erreichten, nur Pierce selbst wagte mit seinen Solo-Platten einige mehr oder weniger gelungene Experimente (unter anderem ein großer, komischer Jazzknubbel namens Flamingo). All die Jahre hatte Pierce wie ein Besessener Blues-Platten gesammelt, was man den letzten Gun-Club-Veröffentlichungen durchaus anhörte, wurden sie doch immer melancholischer, waren immer weiter entfernt von und zurückgenommener als die hochtönenden Stakkatos der Anfangszeit, über denen alles beherrschend das Falsett von Pierce hüpfte, das jederzeit umzukippen schien.

Ramblin' Jeffrey Lee & Cypress Grove with Willie Love ist nun der offensichtliche Ausfluß dieser bisher eher versteckten Obsession. Auf ihr covert er mit befreundeten Musiker (keine Gun-Club-Mitglieder) neben zwei Eigenkompositionen neun uralte Blues-Nummern, von deren Urhebern Lightnin Hopkins noch der bekannteste Name ist. Songs von Menschen wie Chester Burnett — und wer weiß schon, daß dies der bürgerliche Name von „Howlin' Woolf“ war? Namen wie Skip James oder Son House würde niemand mehr kennen, wenn sie von der (weißen) Band „Canned Heat“ in deren manischer, fast wissenschaftlich zu nennender Sammlerleidenschaft nicht wiederentdeckt worden wären. Die anderen Verfasser der Originale kennt nur noch Jeffrey Lee Pierce, und selbst der ist sich nicht sicher, ob er den Pony Blues Son House oder Charlie Patton zuordnen soll; den Credit für einen Herrn namens Willie Brown hinter Future Blues ziert ein Fragezeichen.

Pierce geht alle Stile durch, die das doch eigentlich so eingeschränkte 12-Takt-Schema bietet. Ob nun Country- oder Urban-Blues, akustisch oder elektrifiziert, Pierce scheint vor Rührung und Ergriffenheit so verschreckt, daß er sich selbst fast völlig zurücknimmt. Selbst seine Stimme, sonst Garant für den Wiedererkennungswert, stellt er ganz in den Dienst der Sache. Er spart sich nicht nur fast sämtliche Vokaleskapaden, meistens schlüpft er sogar so perfekt in ein anderes Timbre, daß man ihn als Sänger über die Besetzungsliste identifizieren muß. Die Sache, um die es geht, ist eben nicht das Ego von Pierce, sondern, den Blues aus den Klauen von Eric Clapton, Gary Moore und Konsorten zu entfernen.

Nur dreimal verlassen Pierce und die Band den steinigen Pfad der Konservierung. Zum ersten und zweiten Mal in der Eigenkomposition Stranger In My Heart und in Hardtime Killin' Floor Blues von Skip James, Stücke, in denen Pierce so singt, daß man ihn erkennen kann. Zum dritten Mal in Howlin' Woolfs Moanin' In The Moonlight, wo sich die Gitarren im Geknüppel überschlagen.

Natürlich dürften diese Aufnahmen anders klingen als die Originale, aber alle kommen dem ursprünglichen, noch nicht verwässerten Blues aus trüben Vorzeiten wesentlich näher als alles, was man die letzten dreißig Jahre hören konnte. Fehlt nur noch das knackende Rauschen meterdick verstaubten Vinyls. Aber das wäre dann doch des Guten zuviel gewesen.

Ramblin' Jeffrey Lee & Cypress Grove with Willie Love. What's So Funny About/EFA 02921-26.

VOMGUNCLUBZUMBLUES:JEFFREYLEEPIERCE