Scheibchenweise

■ Der Oberste Gerichtshof der USA schränkt Abtreibungsfreiheit mit der Salamitaktik ein

Scheibchenweise Der Oberste Gerichtshof der USA schränkt Abtreibungsfreiheit mit der Salamitaktik ein

Natürlich hätte alles viel schlimmer kommen können. Der Oberste Gerichtshof hätte das Grundrecht der amerikanischen Frauen auf Entscheidungsfreiheit explizit über den Haufen werfen — und damit sein eigenes Grundsatzurteil von 1973 völlig konterkarieren können. Das hat er nicht getan — statt dessen einen vermeintlichen Kompromiß gefunden. Abtreibungsfreiheit im Prinzip ja, aber... Sollen Frauen in den USA sich nun darüber freuen, statt des befürchteten Kinnhakens nur die Ohrfeige bekommen zu haben?

Das Urteil des Gerichtshofs lädt die Bundesstaaten förmlich dazu ein, sich weitere Restriktionen und Hürden für Frauen auszudenken, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen. Bekanntlich sind der Phantasie der männlich dominierten Parlamente da keine Grenzen gesetzt: Gesetzlich erzwungene Wartezeiten, Einverständniserklärungen der Eltern bei Minderjährigen, Beratungspflicht. Der Oberste Gerichtshof verlangt von Vater Staat nur, daß er der Frau keine „unangemessene Belastung“ aufbürdet, um seiner „Verantwortung für das ungeborene Leben“ nachzukommen. Wozu man erstens wissen muß, daß der Gerichtshof in einem Urteil von 1991 keine verfassungsrechtlichen Bedenken hatte, als die Bush-Administration sämtlichen Kliniken und Familienplanungsstellen mit dem Entzug öffentlicher Mittel drohte, wenn sie bei einer Beratung das Wort Abtreibung auch nur in den Mund nehmen. Wozu man zweitens wissen muß, daß eben jener Gerichtshof 1981 entschied, kein Bundesstaat sei verpflichtet, bei mittellosen Frauen die Kosten einer Abtreibung zu übernehmen. Was deren Grundrecht auf Entscheidungsfreiheit in vielen Staaten zu einer Frage der Klassenzugehörigkeit und der Hautfarbe gemacht hat. Diese Salamitaktik erinnert von der Dramaturgie her an den Umgang mit dem Asylrecht in der Bundesrepublik. Auf dem Papier bleibt es (noch) stehen, doch werden die Hürden für diejenigen immer höher geschraubt, die es in Anspruch nehmen wollen.

Während die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Frau immer weiter eingeschränkt worden sind, gewinnt der Fötus unter dem Schutzschild des Staates zunehmend den Status eines Rechtssubjekts. Vor diesem Hintergrund betrachtet, hat ein Sprecher der Bewegung, die sich so heuchlerisch „Pro-Life“ nennt, die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs am treffendsten kommentiert: „Das war ein großartiger Tag für die ungeborenen Babys.“ Und ein verdammt schlechter Tag für die schon lebenden Frauen. Andrea Böhm, Washington