Captain Breuel verließ das Raumschiff

Vor der Berliner Treuhandanstalt demonstrierten gestern 150 Betriebsräte aus Ostdeutschland/ Die Aktion wurde von einer basisorientierten Betriebsratsinitiative organisiert, die mit der IG Metall im Clinch liegt  ■ Aus Berlin CC Malzahn

Die Adresse der Treuhandzentrale lautet Leipziger Straße 5-7. Daß gestern 150 Betriebsräte aus ostdeutschen Betrieben in der Otto-Grothewohl-Straße gegen die Politik der größten Industrieholding der Welt demonstrierten, hängt nicht damit zusammen, daß sich die Arbeitervertreter aus Buna, Frankfurt an der Oder, Dresden oder Rostock in der großen Stadt verlaufen hatten. Die Männer und Frauen, die nach eigenen Angaben über 250.000 Arbeitnehmer aus den neuen Ländern vertreten, standen goldrichtig vor dem Haupteingang der Abwicklungszentrale. Der Vorstand der Treuhand und seine Präsidentin Birgit Breuel, denen der Protest der Betriebsräte galt, mochten auf ihren Briefbögen aber nicht den Namen eines Mannes lesen, der den ganzen Schlamassel mit angerührt hat. Als die 2.500 Abwickler, Manager, Sekretärinnen und Sachbearbeiter vor zwei Jahren das riesige Gebäude in Berlin Mitte bezogen, entschied man sich deshalb für eine neutrale Postanschrift; immerhin liegt die Leipziger Straße tatsächlich in der Nähe. Im Treuhandimperium liebt man die kleinen und großen Tricks, außerhalb der Machtzentrale beginnt man sie zu hassen.

Fast in jeder Woche versammeln sich in Berlin Menschen vor dem monströsen 30er-Jahre-Bau. Diese Protestversammlungen haben bisher nicht dazu geführt, daß der Tanker seinen Kurs ändert. Die Aufmärsche von Gewerkschaftern vor dem großen Gitterzaun haben bei den Managern der Treuhand kaum mehr als ein müdes Lächeln hervorgerufen. Mit wachsender Unruhe werden im Raumschiff Treuhand aber seit einiger Zeit die Aktivitäten ostdeutscher Betriebsräte beobachtet, die bereit und in der Lage sind, ihre radikale Kritik auch ohne die Gewerkschaften, und, wenn es sein muß, auch gegen die Gewerkschaften vorzutragen.

Birgit Breuel hat gestern eine Vorstandssitzung unterbrochen, um eine Delegation der Betriebsräte zu empfangen. Nach einem halbstündigen Gespräch verließ Captain Breuel daß Raumschiff und sprach auf der Otto- Grothewohl-Straße kurz zu den übrigen Demonstranten. Dort gab sie vor einem zunächst mucksmäuschenstillen Publikum Statements ab, die man schon kennt: Die Treuhand könne nicht alle Wünsche befriedigen, habe etwas aufzuräumen, was andere verursacht hätten. Die Treuhand habe einen Gesetzesauftrag zu erfüllen, daran müsse sie sich halten. Trotzdem habe sie „Respekt vor denen, die hierhergekommen sind“. Dann entschwand sie wieder, von hitzigen Buhrufen begleitet, in der kühlen Eingangslobby. Die Gespräche zwischen Birgit Breuel und den Betriebsräten werden am 9. Juli fortgesetzt.

Die Treuhand-Kritiker, die gestern vor die Abwicklungszentrale gezogen sind, fordern neben einem sofortigen Entlassungsstopp die Etablierung einer neuen Unternehmensphilosophie: „Für alle sanierungsfähigen Betriebe muß der Grundsatz ,aktive Sanierung vor Privatisierung‘ gelten“, erklärte der Betriebsratsvorsitzende der Deutschen Seerederei Rostock, Eberhard Wagner. In seinem Betrieb werden und wurden Tausende von Arbeitern entlassen. Nach einer gestern von den Betriebsräten veröffentlichten Umfrage wurden von Januar 1990 bis Ende Juli 92 etwa 80 bis 90 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmer auf die Straße gesetzt. „Die Treuhand soll endlich korrekte Statistiken veröffentlichen!“ forderte Wagner. Gestern lief eine spezielle Kurzarbeiterregelung aus, nach der bislang 50 Prozent der Krankenkassenbeiträge von der Bundesanstalt für Arbeit getragen wurden. Die Treuhand hatte bereits vor Wochen einen weiteren Abbau der Belegschaften in ihren Unternehmern um 150.000 Arbeitnehmer bis zum Quartalsende angekündigt. Die Demonstranten haben gestern betont, daß sie die Treuhand nicht allein für die Misere im Osten verantwortlich machen wollten, die Breuel-Behörde trage aber eine gehörige Mitschuld an der Baisse.

Während sich die Treuhandchefin am 9. Juli eingehender mit den Forderungen der Betriebsräte befassen will, ist dem Chef der IG-Metall, Franz Steinkühler, das Treiben der Basisvertreter, die ihre Interessenvertretung nicht mehr einem in Frankfurt am Main residierenden Apparat überlassen wollen, nicht geheuer. Während sich Einzelgewerkschaften wie die IG Medien, die ÖTV oder HBV mit der Betriebsratsinitiative solidarisiert haben, wertet man die Aktivitäten der Ostdeutschen in Frankfurt am Main als spalterisch und gewerkschaftsfeindlich. „Einigen Leuten paßt es nicht, daß die Betriebsräte kein IG-Metall-Emblem im Briefkopf haben“, weiß ein Gewerkschaftsfunktionär. In Frankfurt am Main scheint man auf solche Formalien Wert zu legen. In Frankfurt an der Oder hält man sie — angesichts der immer weiter schreitenden Entindustrialisierung — für grotesk.