Flair Play in den Rheinauen

Das erste Festival „Sportkulturen der Welt“ in Bonn — eine ausgelassene und vielfarbige Riesenparty der Sportivität mit Hornussen, Yabusame, Sepak Takraw, So I Hul und vielem mehr  ■ Aus Bonn Bernd Müllender

Die Litauer erheben sich bei ihrem traditionellen Stelzengehen zum Klang der Quetschkommode. Der Sohn eines australischen Aboriginal- Häuptlings zeigt atemberaubende Künste beim Wurf mit Bumerangs aller Größen. Tanztrommler aus Burkina Faso begeistern mit ekstatischer Geschmeidigkeit, während nebenan niederländische Polsstok-Springer zeigen, wie man früher die landestypisch vielen Grachten und Flüßlein locker überwand. Und japanische Reiter führen beim Yabusame ihr Zeremoniell des Bogenschießens hoch zu Roß auf — mit für westeuropäische Mentalität so langatmiger meditativer Vorbereitung, daß die Fernsehteams ungeduldig werden auf der Suche nach buntgemischten schnellen takes und dann die Kameras kaum in Position bringen, als die Reiter in wildem Galopp vorbeibrausen und ihre Pfeile locker ins Ziel schnellen lassen.

Die peitschenden Rhythmen der brasilianischen Capoeira-Tänzer aus dem Hintergrund verstummen, jetzt brummen die Alphörner. Sie sind die musikalische Einstimmung auf das Hornussen — eine Art angelunterstütztes Mannschafts-Eishockeygolf aus der Schweiz, bei dem eine kleine Scheibe (der Hornuß) mit Stecken genannten extrem biegsamen Schwingruten abgeschlagen wird und von einer Gruppe mit Holzschindeln bewehrter „Abtuer“ in der Ferne abgefangen werden muß.

Oder Fußball. Was es da für Variationen gibt: Das rituelle Kemari aus Japan etwa, mit halbaufgepumpten Hirschlederbällen. Oder dies: Eine Gruppe Indonesier präsentiert sich beim Sepak Takraw, barfüßig gespielt statt mit irgendwelchen Pumidas Soccstar ausgerüstet, mit einem Rattanball kunstfertig jonglierend wie die Maradonas des Ostens, und ein Thai-Team zelebriert Bastkugeln beim Loop Takraw virtuos füßelnd in einen hochgehängten Korb, so technisch perfekt, in ausgeklügeltem Zusammenspiel und mit einer Leichtigkeit, als wären sie die Dänen Asiens.

Große Bewegungsparty in der Bundesspielstadt

Bonn am letzten Wochenende. Spielstadt statt Hauptstadt. Gut 600 Aktive aus 36 Ländern aller Kontinente waren zur Weltpremiere „Sportkulturen der Welt“ gekommen, veranstaltet vom Deutschen Sportbund. Vier Tage lang zeigten sie auf vielen Plätzen in ganz Bonn ihre traditionellen Spiel-, Sport- und Tanzkünste. Zum Finale am Sonntag, als die multikulturellen Spezialitäten auf vielen Hektar Fläche in den idyllischen Rheinauen demonstriert wurden, ließen sich Zehntausende zur großen Bewegungsparty anlocken.

Mitmachen und ausprobieren war angesagt, wo immer möglich: bei afrikanischen Tänzen (mit europäischen Bewegungsdefiziten im Hüftbereich), beim Polsstok-Springen (mit vielen Abstürzen), beim asiatischen Fußballtennis (mit großen technischen Problemen auch kreisligagestählter Männer: „Wat ham die nur für komische Pillen hier?“) oder beim Sumpitan, dem Blasrohrschießen aus Borneo. Früher dienten die Pfeile vom Aussehen überdimensionaler Zahnstocher zur Jagd. Heute ist es ein Sport auf Zielscheiben. Und die akribisch ausgehöhlten Rohre, die einer allein drei Monate lang auskratzt und bohrt und feilt, sind so perfekt gefertigt, daß auch Kinder die Zielscheibe trafen und mancher glatt einen Affen erlegt hätte.

All diesen fürs europäische Auge skurrilen, bizarren Bewegungserrungenschaften zuzusehen, fasziniert, verwirrt und läßt staunen ob ihrer Lebensfreude, Innovation, Gelassenheit trotz bisweilen heißester Anspannung. Wie in einer anderen Welt kommt man sich indes erst dann richtig vor, wenn man das gleichzeitig stattfindende Symposium der Sportwissenschaftler über die Internationale der Bewegungskulturen besucht. Hier wird die schier grenzenlose Buntheit in wissenschaftliche Raster eingeformt, die Riesenschau theoretisch aufgearbeitet. Da wird systematisiert, mit westlichen Denkmustern interkulturell verglichen. Gewertet, gewichtet, Merkmale zugeschrieben und katalogisiert.

Und da war der norwegische Friedensforscher Johan Galtung. „Der soziokulturelle Code des Sports“, so Galtung, „ist der Gewaltcode.“ Sport und Macht: Drei Prozent aller Weltnationen gewannen bei Olympia zuletzt 85Prozent aller Medaillen — das sei ja schlimmer, so Galtung, als die Mißbilanz bei Energieverbrauch oder Umweltzerstörung. Sport und Spiele, so Galtungs Resümee, dienten auf verblüffend einfache Weise dazu, „die Welt ein wenig besser zu verstehen“. Motto: Sage mir, was du spielst, und ich sage dir, wer du bist.

Hoetscheln, Pickeln, Boßeln, Klootschießen

Was das Symposium nicht bieten konnte, war das schillernde Flair Play schon aus unseren Breiten: von all dem skurrilen Hornussen, dem österreichischen Plattenwerfen, von den deutschen Bügelspielen, dem Hoetscheln, Picken, Boßeln oder dem ostfriesischen Klootschießen. Aber begeistert war die Internationale der Wissenschaftler, als ein volkskundiger Zuhörer aus dem Auditorium Bericht erstattete von öffentlich zelebrierten Koitusriten und Fruchtbarkeitsläufen aus den Urwäldern Südostasiens. Gezeigt wurden sie in den Rheinauen, soweit beobachtet werden konnte, allerdings nicht. Eine Idee vielleicht für das zweite bewegende Bewegungstreffen 1996 in Thailand.

Dann werden übrigens auch die Dänen nicht mehr den besonders aufbrausenden Beifall bekommen wie in Bonn. Fußballtriumphe sind bekanntlich kurzlebig. Ihre jahrhundertealten Geschicklichkeitsspiele indes bleiben. Das verrückteste, eine Art altvorderes Hockey mit krummen Holzruten, heißt „So I Hul“, übersetzt „Sau ins Loch“. Hier sind die Dänen für alle Zeiten unschlagbar. Denn, so sagt die Regel, es ist ein Spiel ohne Verlierer.