INTERVIEW
: „Dieser furchtbare Druck auf uns muß endlich aufhören“

■ Ein Gespräch mit Albert Aghazarian, zeitweilig Mitglied der palästinensischen Delegation bei den Nahost-Verhandlungen und Dozent an der Bir-Zet-Universität

taz: Ihr Kommentar zum Machtwechsel in Israel?

Albert Aghazarian: Natürlich können wir froh sein, daß die Arbeitspartei gewonnen hat. Genauer: ihr Wahlsieg ist für uns weniger schlimm als ein Comeback von Likud. Denn natürlich haben wir auch jetzt unsere Vorbehalte: Schließlich ist Rabin derjenige, der zur „Politik des Knochenbrechens“ in den besetzten Gebieten aufgerufen hat. Dieser Regierungswechsel wird neue und komplizierte Anforderungen an uns stellen, denn wir werden von seiten der USA noch größerem Druck ausgesetzt sein als bisher. Die Politiker der neuen israelischen Regierung werden auf dem Parkett der internationalen Politik viel mehr Geschick an den Tag legen als Likud.

Manche fürchten im Falle einer Mitte-Links-Koalition von Merez und Labour die Reaktion erzürnter Likud-Anhänger und Siedler.

Rabin ist sich dieser Gefahr wohl bewußt. Diese Leute werden zunehmend gefährlich. Wenn Rabin versucht, ihnen den Boden zu entziehen, könnte es sehr ernst werden. Darum erklärt er seine Koalition auch für „offen nach allen Seiten“. Im Moment scheint das auch weise. Fraglich ist, ob das langfristig zur Überwindung der Widerstände im Konflikt mit den Palästinensern beiträgt.

Welche neuen Perspektiven ergeben sich für die palästinensische Politik?

Erst einmal warten wir darauf, daß in den Nahost-Gesprächen jetzt wirklich ernstlich verhandelt wird. Seit der Eröffnungskonferenz von Madrid ist der Druck auf die Palästinenser in den besetzten Gebieten ja stetig gewachsen. Sie sind in einer so bedrängten Lage, daß sie in ihrer Frustration die verrücktesten Sachen machen. Die einen flüchten in religiöse Bewegungen, die anderen laufen Amok und greifen irgend jemanden an. Das wird dann benutzt, um noch mehr staatlichen Terror zu legitimieren. Es ist ein Teufelskreis. Doch ich denke, Rabin hätte einmalige Chancen, ihn zu durchbrechen.

Und die palästinensische Politik? Kann sie unter den neuen Gegebenheiten zum Ende des Terrors beitragen?

Die Chancen dafür könnten sich verbessern oder verschlechtern. Das hängt zunächst von Rabins Politik ab.

Erwarten Sie jetzt ein Ende der Siedlungspolitik?

Nablus, Bethlehem und Ramallah werden jetzt vielleicht in Ruhe gelassen, während sich die Siedlungspolitik in Ostjerusalem, am Jordan und im Golan verstärkt.

Werden die Nahost-Gespräche unter den Palästinensern jetzt dennoch wieder mehr Zustimmung finden?

Viele, die für die Palästinenser an diesen Verhandlungen beteiligt waren, fragen sich seit geraumer Zeit, wie lange man noch verhandeln kann, während das Leiden in den besetzten Gebieten immer schlimmer wird. Andererseits weiß hier jeder, daß wir gar keine andere Wahl haben. Jetzt wird es eine Art Gnadenfrist (für die palästinensische Delegation) geben — zumindest bis zu den Wahlen in den USA. Sollte Bush gewinnen, dann hoffen wir, daß die nächste US-Regierung viel tun wird, um zu ernten, was sie auf dem steinigen Acker der Nahost-Politik mit einiger Mühe gesät hat. Nach meiner Meinung ist der Ausgang der Wahlen in den USA für die Zukunft der Nahost-Verhandlungen weitaus wichtiger als die israelischen Wahlen. Die Israelis haben Schamir doch vor allem abgewählt, weil er die amerikanische Kreditzusage nicht bekommen hat. Das ist sehr wichtig. Und zweitens hat er die russischen Einwanderer enttäuscht.

Es waren ja gerade die russischen Juden, gegen deren Einwanderung die Palästinenser sich so sehr gewehrt haben, die durch ihr Votum einen wichtigen Beitrag zum Machtwechsel in Israel geleistet haben.

Das ist richtig. Sie haben die Veränderung herbeigeführt. Aber was unsere Lage betrifft, wird sich erst einmal nicht viel ändern. Gerade sind wir mit dem Leiter der „Civil Administration“ (Teil der Militärverwaltung in den besetzten Gebieten, d. Red.), General Gadi Zoher, zusammengetroffen. Er hat uns vor allem signalisiert: Es gibt eine Kontinuität der Regierungspolitik. Schamir oder Rabin, glaubt ja nicht, daß das einen Unterschied macht, sonst erlebt Ihr böse Überraschungen.

Gibt es bald Wahlen in den besetzten Gebieten?

Ich hoffe es. Wir sind politisch reif genug, Wahlen durchzuführen, auch wenn das unter widrigen Bedingungen und ohne Aufsicht der UNO passieren müßte.

Würden die Wähler die Politiker bestärken, die bislang Verhandlungen mit Israel befürwortet haben?

Ich würde die derzeitigen Kräfteverhältnisse etwa so abschätzen: Etwas über vierzig Prozent für Verhandlungen — also für Fatah. Für die PFLP (Volksfront für die Befreiung Palästinas/PLO-Fraktion, d. Red.), also gegen das „Hereinfallen auf den Pragmatismus“ und gegen die „Politik der USA“, würde sich ein gutes Viertel entscheiden, während Hamas, also die Fundamentalisten, mit gut dreißig Prozent rechnen könnten.

Man könnte also nicht mit einem klaren Auftrag der palästinensischen Wähler für Verhandlungen mit Israel rechnen?

Es sieht aus wie ein Dilemma. Natürlich haben Hamas und die PFLP in der Vergangenheit oft an einem Strang gezogen. Aber die PFLP hat im entscheidenden Moment schon wiederholt ihre Strategie geändert und sich gegen ein Zusammengehen mit Hamas und für ein Bündnis mit den „nationalen Kräften“, also mit Fatah, entschieden. Aber wenn wir weiterhin keine Ergebnisse in den Verhandlungen erzielen, können wir dieses Spiel ohnehin nicht mehr mitspielen. Die Leute müssen Ergebnisse sehen. Dieser furchtbare Druck auf uns muß endlich aufhören. Interview: Nina Corsten