Was tut mann nicht alles für Olympia

Datei über IOC-Mitglieder und ihre sexuellen Neigungen sorgt in Berlin für Entrüstung/ Personal-Lobbying ist der große Hit beim Bewerbungsturnier fürs Jahr 2000/ Millionengeschäfte rund um Olympia von Unternehmensberatern abgewickelt  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Der Chef der Berliner Olympia GmbH, Axel Nawrocki, fand, das sei „harter Tobak“. Zwar könne er nicht ausschließen, „daß es derartige Dinge gegeben hat“, doch, da war er sich sicher, „seit meiner Amtsübernahme sind derartige Dinge nicht vorgekommen.“ Von „derartigen Dingen“, die der Manager so entrüstet von sich wies, berichtete Montag abend das Fernsehmagazin Monitor. Die Berliner Olympiabewerber, so der Vorwurf der Monitor-Macher, haben in ihrem Eifer „zu Mitteln gegriffen, die mit olympischen Idealen nichts mehr zu tun haben“. Um bei den 94 Mitgliedern des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) „Personal-Lobbying“ zu betreiben, habe die mit der Entwicklung des Bewerbungskonzeptes beauftragte Unternehmensberatungsfirma „Bossard Consultants“ versucht, „möglichst viele Informationen zu sammeln“, unter anderem auch über „Trinkgewohnheiten“ und „sexuelle Neigungen“ der durchweg alten Herren. Von den 94 Oberolympioniken wurden lediglich 7 als „nicht käuflich“ eingeschätzt. Die Monitor-Recherche versetzte die Olympische Gemeinde Berlins in helle Aufregung, wähnte sie sich gerade auf dem besten Weg aus ihrem Pleiten- Pech-und-Pannen-Image. Nawrocki sah vor allem das nationale Ansehen der Bewerbung sinken. Das deutsche IOC-Mitglied Thomas Bach beschied hingegen kurz und klar, bei diesen Vorwürfen sei Berlin „so nicht wählbar“.

Der Vorwurf, daß auch unterhalb der Gürtellinie der IOC-Oberen sondiert wurde, konnte von der Bossard Consultants nicht entkräftet werden. Ihr Geschäftsführer Nikolaus Fuchs bestätigte mittlerweile, im August letzten Jahres sei eine entsprechende Datei angelegt worden, um die Möglichkeiten des Personal-Lobbying auszuloten. Die Datenmaske sei allerdings kurz darauf wegen rechtlicher Bedenken wieder vernichtet worden. Der Bericht über die korrumpierenden Details der Olympioniken-Vita hingegen befindet sich nach wie vor bei den Unterlagen. Er sei, so Fuchs, seiner Firma unaufgefordert von einem „sogenannten Experten“ zugegangen. Sie hätten ihn „gelesen und als unbedeutend beiseite gelegt“.

Der Unternehmensberater schloß aus, daß seine Firma im olympischen Personal-Lobbying engagiert sei. Das gleiche gelte auch für die Olympia Marketing GmbH, für die Bossard Consultants arbeitet. Zur Zeit wird über eine Verlängerung des Vertrages verhandelt, doch könnte dieser wegen der öffentlichen Auseinandersetzungen um die Schmuddeldaten nicht mehr bis zur Unterschrift reifen.

Nikolaus Fuchs ist sowohl geschäftsführender Gesellschafter der Bossard Consultants als auch Geschäftsführer der Olympia Marketing GmbH. Dieses Unternehmen wurde zur Jahreswende als privatwirtschaftliches Gegenstück zur öffentlich-rechtlich organisierten Olympia GmbH gegründet. An ihr ist das Land Berlin nur noch mit symbolischen 1,5 Prozent beteiligt, die Gesellschafterrunde besteht aus einem erlesenen Kreis deutscher Unternehmen. Das Postunternehmen Telecom ist dabei ebenso engagiert wie Daimler-Benz, Bertelsmann und Siemens. Wer bereit ist, 7 Millionen Mark hinzublättern, wird in den Kreis der Lizenznehmer der Marketing GmbH aufgenommen. Denn mit Lizenzen, Sponsoring und Merchandising macht die Firma ihre Geschäfte. Fuchs macht „keinen Hehl daraus, gut zu verdienen“.

Die Marketing GmbH versteht er als „Parallelbewerbungsgesellschaft“ zur Olympia GmbH. Gut 33 Millionen will das Unternehmen erwirtschaften, bereits jetzt hat es die Marge von 23 Millionen erreicht. Den größten Teil des Geldes investiert die Marketing GmbH wieder in „internationale Projekte“ worunter Fuchs jene Aktivitäten versteht, „wo es darum geht, IOC-Mitglieder zur Stimmabgabe zu bewegen“. Die Olympia GmbH hält Fuchs für eine „Fehlkonstruktion“, denn sie könne „IOC-Mitglieder nicht kurz mit dem Privatjet einfliegen“. Auch bei einem guten Essen, veranstaltet von der Olympia GmbH, würde der Rechnungshof Einspruch erheben. Ein öffentlich-rechtliches Olympiaunternehmen ist folglich chancenlos, denn es kommt nach Einschätzung der Berliner Olympiabewerber entscheidend auf den Aufbau „persönlicher Beziehungen“ zu den IOC-Mitgliedern an. Gegenüber diesem „Haupterfolgsfaktor“ sind nach internen Recherchen, andere Einflußgrößen „völlig irrelevant“. So wird, trotz gegenteiliger öffentlicher Bekundungen, der „innerstädtischen Unterstützung“ nur 15 Prozent Bedeutung für die IOC-Entscheidung beigemessen, das Konzept der Stadt inklusive der Baumaßnahmen schlägt gar mit nur 10 Prozent in der internen Gewichtung zu Buche.

Diesen Stellenwert nimmt das Personal-Lobbying ein, seit mit den Spielen in Los Angeles klar ist, daß sich mit Olympia Geld verdienen läßt. Atlanta hat als Austragungsort vor Athen den Zuschlag erhalten, weil es sich im besonderen Maße um die IOC-Gerontokraten kümmerte. Und auch von Lillehammer wußte Fuchs noch letzte Woche zu berichten, daß der norwegische Ort deshalb den Zuschlag für die Winterspiele 1994 erhielt, weil seine Bürger die Kinder der IOC-Mitlglieder nach Hause eingeladen hatten. Deshalb, so Fuchs, müsse Berlin auch „die Lillehammerlinie fahren“ und „Leute finden, die die IOC-Mitglieder besuchen“. Die Zone zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem beim Personal-Lobbying ist grau, deshalb gilt bei Eingeweihten im Kampf um Wettbewerbsvorteile allemal der Vorbehalt, den NOK-Präsident Willi Daume gegen ein allzu regelgetreues Vorgehen geäußert hat: „Dann kriegen wir die Spiele nicht.“

Nach Nawrockis Einschätzung ist durch die neuerliche Pleite „natürlich Schaden entstanden“, vor allem in der „aufgeregten Berliner Landschaft“. Dort ist die Olympia-Sensibilität derzeit besonders groß, denn es werden die ersten Großbauvorhaben in Angriff genommen, obgleich die Haushaltskasse des Landes chronisch defizitär ist. Der Bau der Olympiahalle für 15.000 Plätze drohte letzte Woche zu platzen, weil die Investoren das Risiko für dieses 1,1 bis 1,6 Milliarden Mark teure Projekt nicht tragen wollten. Der Senat beschloß daraufhin am Dienstag, das Projekt zu retten, indem er den Unternehmen die Cityareale, auf denen die Halle entstehen soll, zum Kauf anbot.

In den nächsten Wochen wird über eine darüber hinausgehende wirtschaftliche Beteiligung des Landes verhandelt. Von Bausenator Nagel wird dieses Engagement bereits als „public private partnership“ gefeiert. Auch für andere nun anstehende olympische Bauvorhaben sind solche öffentlich-privaten Mischformen vorgesehen. Kritiker befürchten, daß dabei das öffentliche Interesse auf der Strecke bleibt, womit sie nicht ganz unrecht haben dürften. Denn für Manager Fuchs ist die ganze Olympiabewerbung „ein ,showcase‘ für die Privatisierung einer eigentlich staatlichen Aufgabe“.