FDP distanziert sich vom Karenztag

■ Gewerkschaft will Verfassungsgericht anrufen/ CDU-Sozialausschüsse für Streichung eines Feiertags

Bonn/Berlin (afp/taz) — Gegen die Pläne der Regierungskoalition, die Pflegeversicherung durch die Einführung eines Karenztages zu finanzieren, formierte sich gestern breiter Widerstand. SPD, Gewerkschaften, CDU-Sozialausschüsse, Bundesärztekammer und die Kirchen sprachen sich dagegen aus, Kranke künftig vor die Wahl zu stellen, entweder auf die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag oder auf einen Urlaubstag zu verzichten.

Unter dem Eindruck der harschen Kritik distanzierte sich die FDP- Spitze von dem Vorhaben und verwies darauf, daß dieser Vorschlag aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion gekommen sei. FDP-Generalsekretär Lühe betonte, für ihn seien auch andere Ausgleichsmaßnahmen für die Arbeitgeber denkbar. Auch innerhalb der FDP sorgt der Kompromiß um die Pflegeversicherung für Zündstoff.

Bundestagsvizepräsident Dieter- Julius Cronenberg legte aus Protest gegen das Nachgeben seiner Partei den Vorsitz des Arbeitskreises Sozialpolitik der FDP-Fraktion nieder. Mehrere FDP-Abgeordnete sehen wegen des Kompromisses bei der Pflegeversicherung die Koalition als gefährdet an. Sie warfen der CDU/ CSU „Erpressung“ vor. Dann werde die FDP die Koalition platzen lassen, drohte der FDP-Bundestagsabgeordnete Jürgen Koppelin. „Sollte so etwas noch mal vorkommen, kracht's“, drohte er.

Der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, Ulf Fink, forderte, statt der Einführung eines Karenztages einen Feiertag zu streichen.

SPD-Chef Björn Engholm drohte erneut, den Gesetzentwurf im Bundesrat scheitern zu lassen. Der SPD- Sozialexperte Rudolf Dreßler bezeichnete die Einführung von Karenztagen als „politisch nicht durchsetzbar“. „Die Kranken zahlen für die Pflegebedürftigen, damit die Unternehmer entlastet werden.“ Führende deutsche Arbeitsrechtsexperten halten eine gesetzliche Regelung von Karenztagen für verfassungswidrig. Der DGB und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft drohten mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.