Wo das Ohr in die Hose rutscht

■ Über das Festival in Roskilde ein Bericht und Fotos von Roland Owsnitzki

Zum 22.Mal wurde die dänische Stadt Roskilde in der Nähe von Kopenhagen zum Austragungsort des größten Rockfestivals Europas:

61.000 Menschen trafen sich vier Tage und vier Nächte, um im Rausch der Musik und der Atmosphäre eines Festivals unter freiem Himmel ihre Gefühle zu zelebrieren.

Das Feuer der skandinavischen Mitsommersonne saugt dem Besucher die letzte Feuchtigkeit aus den Poren. Wasser versetzt mit Gerste, Malz und Wein finden ihren Weg zur Erde über die längste Pißrinne der Welt — Amoniak, der Geruch der Benebelten.

Von der Bühne dringen Vivaldis Vier Jahreszeiten, live gespielt vom London Chamber Orchestra, in die Ohren der Rockfans. Wer Stunden zuvor noch bei Megadeth die Faust reckte, fordert nun feuchten Auges Zugaben.

Auf dem Weg zur Hauptbühne, über einen Kilometer von der „Grünen Bühne“ entfernt, rollen einem bereits die Ölfässer der Les Tambours Du Bronx aus Frankreich entgegen. Ein Lärm, der die Blicke fesselt und das Ohr in die Hose rutschen läßt. Die Verursacher stellen ihre Fässer im Kreis auf und schlagen mit ihren Hölzern archaische Rhythmen, daß einem das Ohr wieder zu Gehör kommt und das Herz seine Kontrolle verliert. Wutentbrannt trommeln die Tambours auf ihren Instrumenten, bis auch jeder mitbekommen hat, daß diese Art des Recycling Zukunft hat.

Am Freitag abend sind die vier Bühnen verwaist, das Fußballspiel Dänemark gegen Deutschland wird auf einer Videoleinwand gezeigt, überall stehen Fernseher im Staub.

Weil Columbus vor 500 Jahren die Indianer besuchte und nichts als Minderheiten hinterließ und in diesem Jahr alle Columbus feiern, feiert das Roskilde-Festival die Indianer. In voller Federmontur und mit Schmuck behängt tanzen die Indianer über das Festivalgelände und präsentieren ihre Kultur.

Der Sieg von Uncle Sam wird in diesem Jahr aber auch in Roskilde überdeutlich — zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals prangte Werbung von Boxentürmen und Plakaten. Marlboro rules — der Überschuß des Festivals geht weiter ans Kinderheim.

Roskilde, ein Festival von über hundert Gruppen und Performern, wird es weiterhin geben, solange Gruppen wie Pearl Jam, Nuclear Assault, Mindfunk und Nirvana ihre Energie wutschnaubend in ihre Gitarren entladen. Solange David Byrne Jaggers Sympathy For The Devil ins Publikum haucht. Solange die Pogues etwas für den irischen Volkstanz tun und sich Menschen aus halb Nordeuropa im Sommer zum Tanz in Roskilde treffen.