Brandenburgs Störche und Kröten jubilieren

Potsdams Naturschutzgesetz trat nach 16 Monaten Kampf vorgestern in Kraft/ 300 Änderungsanträge mußten berücksichtigt werden/ Vetorecht der Naturschutzbehörden behindert laut FDP wirtschaftliches Wachstum im Land  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Potsdam (taz) — „Ich hatte Geburtstag. Man wird doch nur einmal im Leben fünfzig.“ Hans-Dieter Nieschke ist es wichtig, daß seine Abwesenheit bei der entscheidenden Abstimmung über Brandenburgs Naturschutzgesetz nicht mißverstanden wird. Schließlich hatte der CDU- Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Brandenburgischen Bauernverbandes monatelang alle Hebel gegen dieses Gesetz in Bewegung gesetzt. Daß Umweltverbände für den Erhalt von Fischadlern und Kröten klagen können sollten, war ihm suspekt, desgleichen die Landwirtschaftsklausel, die zur Standardausstattung eines jeden Naturschutzgesetzes gehört. „Wir konnten doch nicht zulassen, daß ganz Brandenburg auf die ökologische Landwirtschaft festgelegt wird“, erklärte er. Nieschke noch vor drei Monaten im Landtag: „Wer den Aufbau der Landwirtschaft in Brandenburg verhindern will, soll wie in diesem Entwurf vorgesehen verfahren.“

Über 300 Änderungsanträge brachten Nieschke und andere Parlamentarier zu dem Gesetz aus dem Hause des Umweltministers Matthias Platzeck vor. Von morgens neun bis abends zehn Uhr mußte der federführende Umweltausschuß in seiner letzten Sitzung Anfang Mai brüten. Landwirtschaftsklausel und Klagerecht blieben dennoch in eingeschränkter Form Teil des Gesetzes.

Manche Uhren laufen in Brandenburg allerdings noch anders. Längst nicht alle Änderungsanträge zielten auf eine Verwässerung des Entwurfs: „Viele davon waren durchaus hilfreich“, so Ulrich Stöcker, der Naturschutzrechtler des Platzeck- Ministeriums. „Der Landtag hat einen großen Beitrag geleistet, so daß dieses Gesetz verbessert und deutlich anwenderfreundlicher geworden ist“, lobt er. Stöcker gehört zu der Handvoll Westjuristen, die in Potsdamer Ministerien Gesetzestexte formulieren. Er hat in fast allen Ausschußsitzungen dabeigesessen, Formulierungen vorgeschlagen und sich von Ostabgeordneten eines Besseren belehren lassen.

Theoretisch dürfen sich Brandenburgs letzte sechs Schleihenpärchen und die Schwarzstörche freuen. Schließlich war auch Oberbauer Nieschke mit dem Ergebnis der Verhandlungen zufrieden: Er könne jetzt mit dem Naturschutzgesetz leben. Er halte ja selber mit staatlicher Unterstützung Schafe in einem Gebiet, auf dem nur eingeschränkte Nutzungen erlaubt seien. „An diesem Naturschutzgesetz gehen die Bauern jedenfalls nicht zugrunde.“

Vor allem bei der Verbandsklage sei er viel zu ängstlich gewesen, zeigt Nieschke sich lernfähig. „Ich hab' jetzt mit den Hessen und Bayern geredet. Die sagten, es gab in den vergangenen 20 Jahren drei oder vier Klagen.“ Und bei der Landwirtschaftklausel habe Brandenburg „mutig“ etwas Neues gewagt, lobt der CDUler das Platzeck-Ministerium. Erstmals sei beschrieben worden, was denn ordnungsgemäße Landwirtschaft ist: „Das ist gut so.“ Stöcker kommentiert bescheiden, man habe doch nur die entsprechenden Gerichtsurteile einmal in Gesetzesform gegossen. „Geeignete Wirtschaftsweisen zielen auf einen geschlossenen, schadstoffarmen Stoffkreislauf“, heißt es jetzt im Gesetz.

Friede, Freude, Eierkuchen also bei der Abstimmung in Potsdam— und nur ein halbes Dutzend Gegenstimmen. Doch das Gesetz, das vorgestern in Kraft getreten ist, war auch die bislang schwerste Geburt der Brandenburgischen Landesregierung. Mehr als 16 Monate haben die Landesregierung in Potsdam und Abgeordnete aller Parteien an ihm gefeilt. Keines der 70 anderen Gesetzesvorhaben hat bislang ähnlich lange gebraucht. Sondersitzungen und ein vierstündiges Treffen der Matadore von SPD, FDP und Bündnis 90 im Koalitionsausschuß waren nötig, um dem Text die letzte Form zu geben.

Naturschutz ist eigentlich parlamentarisch der älteste und etablierteste Teil der Umweltpolitik. Schon vor 90 Jahren war im damaligen Brandenburg ein erstes Gesetz zum Landschafts- und Naturschutz verabschiedet worden. Andererseits hat gerade der Naturschutz einen konservierenden Charakter, der nicht recht in die Rhetorik von Wachstum und Angleichung der Straßenverhältnisse passen will. Dem Versuch von Potsdam wuchs damit symbolische Bedeutung in der Auseinandersetzung um Ökologie und Ökonomie in den neuen Ländern zu.

Ökologie versus Ökonomie

Der FDP paßte die ganze Richtung nicht. Wirtschaftsminister Walter Hirche, aus Hannover nach Potsdam gekommen, schoß von Anfang an aus allen Rohren gegen das „wirtschaftsfeindliche Gesetz“. Der Entwurf werde eine „Investitionswüste“ hinterlassen, schalt er den Kabinettskollegen Platzeck. Dessen Parteikollege Günter Nooke konstatiert heute trocken, die FDP „war bei dem Gesetz auf der Suche nach irgendeinem Profil — auch wenn das keine Politik für Brandenburger ist“.

Nachdem Hirche am Regierungstisch an entscheidenden Stellen dennoch unterlegen war, setzte er die FDP-Abgeordneten im Landtag auf den Koalitionspartner Platzeck an. Die verirrten sich im Eifer des Gefechts auch schon mal in der Historie. Der FDP-Landtagsabgeordnete Neumann hielt den aus westdeutschen Versatzstücken und einigen interessanten Neuerungen zusammengebauten Gesetzentwurf für ein „Ermächtigungsgesetz“.

Solch historische Vergleiche wuchsen nicht nur auf dem Misthaufen des historisch unbeleckten Abgeordneten. Sie fanden sich auch in einer Stellungnahme der Unternehmerverbände in Berlin und Brandenburg: „Der Gesetzentwurf gibt dem Umweltminister Raum zu Ermächtigungen und Verordnungen, die außerhalb der parlamentarischen Kontrolle weitreichende einschränkende Rechtsnormen schaffen könnten.“

Schon im Februar 1991 hatten Platzeck und die Fraktion Bündnis 90 das erste Konzept für das Gesetz in die Brandenburger Ampelkoalition eingebracht. Doch dieser fast 80seitige Entwurf fand damals in der Koalition keine Gnade. Das Gesetz sei nicht umsetzbar, überfordere die Ostverwaltungen heillos. Abspecken war die Devise. Ein pensionierter Jurist aus NRW erhielt den Auftrag, das Gesetz dünner zu machen.

Dick oder dünn, Wirtschaftsminister Hirche war von Anfang an nicht zufrieden. Besonders angetan hatten es dem Westimport Hirche die Ausgleichsabgabe und die Einvernehmensregelung. Das Gesetz sieht vor, daß Umweltschäden, die beim Bau einer Fabrik nicht zu vermeiden waren und auch nicht durch andere Naturschutzmaßnahmen der Firma ausgeglichen werden können, entweder das Fabrikprojekt zum Scheitern bringen oder viel Geld — die Ausgleichsabgabe — kosten. Die sogenannte Einvernehmensregel verleiht der Naturschutzbehörde ein Quasi- Veto, auch bei Bau- oder Straßenbaugenehmigungen — nach Hirches Meinung ein erstklassiges Investitionshindernis.

Hirche konnte sich nicht durchsetzen. Einen Teilsieg trug der FDP- Minister lediglich beim Verbandsklagerecht davon. Die anerkannten Verbände dürfen jetzt nur noch unter Berufung auf das Naturschutzrecht klagen. Eine Klage des BUND, weil jemand Umweltschutzvorschriften im Baurecht mißachtet, ist durch das Gesetz nicht mehr abgedeckt. „Das ist die größte Einschränkung, die wir hinnehmen mußten“, so Nooke.

Der bärtige Bündnis-90-Politiker und die MacherInnen im Umweltministerium sind mit den Gedanken schon weiter. Wie halten wir das Terrain und sorgen für eine Umsetzung des auch von Umweltverbänden gelobten Gesetzes. „Vollzugsdefizite“ seien der Alltag auch im personell viel besser ausgestatteten Westen, so Stöcker. Die Menschen müßten die fehlenden Beamten ersetzen, ist seine Folgerung. Eine Volksausgabe des Gesetzes soll dabei helfen. Und die Naturschutzverbände haben schon die Fortbildung ihrer Mitglieder beschlossen.

„Wenn der Landrat nicht will und der Naturschutzbeirat im Kreis schläft, verhindere ich von Potsdam aus nichts“, folgert auch Nooke. Das einzige, was das Ministerium machen könne, sei „eine Feuerwehrabteilung einrichten, die mit dem Auto im Land umherreist und aushilft, wo's brennt“.