Besetzerdorf auf der Oberbaumbrücke

■ Seit Samstag halten rund 50 Personen die Brücke besetzt/ Forderung an den Senat: »Keine Straße, egal wie breit«/ Polizei hielt sich bislang zurück

Kreuzberg/Friedrichshain. Aus Protest gegen den Innenstadtring und den geplanten Ausbau für den Autoverkehr haben am vergangenen Samstag mehr als 50 Personen die Oberbaumbrücke besetzt. Das auf der Brücke errichtete Hüttendorf war gestern nachmittag bereits auf mehrere Holzhütten, zwei Bauwagen und ein Armeezelt angewachsen. Die Besetzer gehören überwiegend dem autonomen Spektrum an. Die Aktion soll so lange fortgesetzt werden, bis der Senat zugesagt habe, daß auf der Oberbaumbrücke keine Straße, »egal wie breit«, gebaut werde, heißt es. »Damit wäre dann auch das Konzept des Innenstadtrings geplatzt«.

Wie berichtet, plant der Senat eine vierspurige Straße über die Brücke, mit der der Innenstadtring vervollständigt werden soll. Der parlamentarische Hauptausschuß hatte das Thema Oberbaumbrücke im Juni auf den 31. August vertagt. In der Zwischenzeit soll der Bauausschuß Modelle einer Straßenbahnlinie zwischen Friedrichshain und Kreuzberg prüfen. Zur Debatte stehen unter anderem der Neubau einer Bahnbrücke sowie die Trassenführung über die Oberbaumbrücke. Letzteres wäre bei einer vierspurigen Straße jedoch ohne Brückenverbreiterung nicht möglich.

Auf dem Backsteintürmchen der Oberbaumbrücke flattern seit Samstag eine rote und gelbe Fahne mit dem Besetzersymbol. An den Geländern und quer über der Brücke wehen Transparente mit Parolen wie »Autowahn-Smogalarm, verhindern wir die Autobahn«, »Schluß mit rassistischen Angriffen«, »Miethaie zu Fischfilet«, »Olympia-Macher und Stadtplanungsstrategen — wir werden euch das Handwerk legen«. Stelltafeln informieren über den Innenstadtring. Aus einer großen Gulaschkanone aus NVA-Beständen gibt es Würstchen und Suppe. Für die abendliche Unterhaltung sorgen Musikgruppen und Kleinkünstler. Die gute Stimmung wurde nur durch das Wetter getrübt: Nach wochenlanger Trockenheit donnerten die Regenmassen in der Nacht zu Sonntag so vom Himmel, daß es in den Hütten und unter der stillgelegten U-Bahn- Brücke kaum noch ein trockenes Fleckchen zum Schlafen gab.

Die Polizei hielt sich bislang zurück. Nur ein paar Beamte begutachteten zu Fuß das Hüttendorf. Die Brücke gehört offiziell zu Friedrichshain, ein möglicher Räumungsantrag müßte aber vom Senat gestellt werden, vermutete die Kreuzberger AL-Baustadträtin Erika Romberg gestern. Grund: Der Senat habe in Friedrichshain alle Tiefbauarbeiten an sich gezogen. Romberg begrüßte die Besetzungsaktion ohne Einschränkung. Dies sei die einzige Möglichkeit für die Bürger, noch Einfluß auf die Planungen des Senats zu nehmen. Ebenso wie die Besetzer fordert die Kreuzberger AL, daß die Oberbaumbrücke nur für die Tram und U-Bahn geöffnet werden dürfe. Die Kreuzberger SPD tritt dagegen für eine zweispurige Straße neben der Tram und U-Bahn ein. Der SPD- Bezirksverordnete und Vorsitzende des Kreuzberger Planungsausschusses, Michael Rädler, verurteilte die Besetzungsaktion gestern »als unkoordinierte Einzelaktion«, mit der »der Zusammenhang der Gesamtbewegung gegen den Innenstadtring gefährdet« werde.

Die Besetzer betonen hingegen, daß die Aktion von 80 Prozent der Passanten begrüßt werde. Um zu verhindern, daß das Hüttendorf zum Tummelplatz für Hinz und Kunz wird, haben sie festgelegt, daß es auf der Brücke keinen Alkohol gibt. »Wir legen auch keinen Wert auf Leute, die hier nur herkommen, um einen Abenteuerurlaub zu machen«, bekräftigte eine Besetzerin. Wie sie sich im Falle einer Räumung verhalten werden? »Wir gehen nicht freiwillig.« Es werde bestimmt »dementsprechende Reaktionen« geben. plu