DURCHS BELFASTER RATHAUS SCHWINGEN SCHIMPANSEN Von Ralf Sotscheck

Die nordirischen Mehrparteiengespräche sind nicht nur relativ bedeutungslos für die Zukunft der britischen Provinz, sondern darüber hinaus von äußerst geringem Unterhaltungswert. Zwar feierten die Medien in der vergangenen Woche die Bereiterklärung der Unionisten zu Verhandlungen mit der Dubliner Regierung als „Durchbruch“, doch Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, bleibt weiterhin ausgeschlossen. Welches Schauspiel den Beteiligten dadurch entgeht, zeigt ein Blick ins Belfaster Rathaus. Dort ist Sinn Féin nämlich mit 9 von 51 Stadträten die zweitstärkste Partei. Das nützt ihr freilich nichts.

Die Kontrolle über den Stadtrat, der immerhin über Müllabfuhr und Beerdigungen entscheiden muß, liegt fest in der Hand der Unionisten, die für die Union mit Großbritannien eintreten. Seit sieben Jahren baumelt hoch über dem Haupteingang des Rathauses ein Spruchband: „Belfast sagt nein.“ Und zwar zum anglo-irischen Abkommen, das der Dubliner Regierung ein eng begrenztes Mitspracherecht in nordirischen Angelegenheiten geben sollte — ein rotes Tuch für die Unionisten. Im Rathaus selbst geht es ebenso kompromißlos zu: Erhebt ein Mitglied von Sinn Féin — die zwar auch gegen das anglo-irische Abkommen eintritt, aber aus den falschen Gründen — das Wort, so greifen die unionistischen Stadträte reflexartig zu ihren Trompeten, um den Redebeitrag zu übertönen. Aber auch schriftliche Äußerungen werden mit allen Mitteln verhindert: Als zwei Unionisten versuchten, ein Sinn-Féin-Transparent in irischer Sprache zu entfernen, rutschten sie von der Leiter, rissen dabei das Transparent an einer Seite ab und schwangen daran wie Schimpansen an einer Liane quer durch den Sitzungssaal. Kommt es wider Erwarten kurz zu einer Debatte, weil den Blechbläsern die Luft ausgegangen ist, so mündet sie unweigerlich in ein tumultartiges Chaos.

Vor kurzem ging es um die Diskriminierung von Katholiken bei der Vergabe von Arbeitsplätzen. Der Unionist Fred Cobain wischte die Kritik der unabhängigen Kommission mit einem genialen Argument vom Tisch: „Was ist denn mit der katholischen Kirche, hä? Wieviele Protestanten arbeiten denn für die, hä?“ Das blieb unwidersprochen — vermutlich deshalb, weil seine Parteikollegen jedem Redner der Gegenseite sogleich ein „Fettsack“, „Klotzkopf“ oder „Scheißkerl“ entgegendonnerten. „Jetzt hört euch doch mal die Ausdrücke in diesem Haus an“, meinte Sinn-Féin-Stadtrat Alex Maskey, der selbst mehrfach in eben diesem Haus wegen ungebührlichen Betragens verhaftet wurde. Scheinheilig fügte er hinzu: „Paß auf deinen Schrittmacher auf, Dotty.“

Das galt dem Bürgermeister Herbert „Dotty“ Ditty, der die geistige Flexibilität einer Stubenfliege besitzt. Er kam denn auch alsbald in Schwierigkeiten. Als ihm seine zehn Auslandsreisen auf Staatskosten vorgehalten wurden, antwortete er verblüfft: „Welche zehn Auslandsreisen? Ich habe doch niemandem davon erzählt.“ Alex Maskey kam ihm zu Hilfe: „Er hat wahrscheinlich gar nicht gemerkt, daß er im Ausland war.“ Von dieser Gemeinheit ließen sich die Unionisten jedoch nicht beeindrucken. Ex-Bürgermeister Sammy Wilson stellte voller Schadenfreude fest, daß Sinn Féin im vergangenen Jahr 82 Anträge gestellt habe — und jeder einzelne wurde verworfen. The Show must go on — bei den Wahlen im nächsten Jahr wird der Zirkus mit neuen Schimpansen bestückt.