WIE IN DER MAPA GMBH BEI BREMEN INNERHALB VON 15 MINUTEN KONDOME ENTSTEHEN, DIE DANN DOCH NUR VON FRAUEN BEGEHRT WERDEN

Rotierende Riesenpenisse auf der Endlosschleife

Bremen (taz) — Schon vor Tagen hatte es mir ein Freund gestanden. Auch seine Existenz habe ziemlich direkt mit diesen „Gummidingern“ zu tun. Er selbst sei genaugenommen der „reine Zufall“, Produkt einer heißen, aber dann doch mißglückten Liebesnacht. Die wäre vor über zwei Jahrzehnten gelaufen: „Und da ist es eben passiert. Das Kondom war hinüber.“ Seine Mutter habe zwar einen ganz schönen Schock gekriegt. Doch dann hätte sie sich doch mit dem kleinen Mathias abgefunden. „Abtreibung kam bei ihr nicht in Frage.“

Dann stehe ich endlich vor einer dieser Produktionstätten, die für Mathias Leben verantwortlich sind — der Mapa GmbH in Zeven bei Bremen. Hier werden auf 165.000 Quadratmetern neben diversen Baby- und Gummiartikeln auch Kondome hergestellt: HT-Spezial, laut hausinterner Werbung „das erste Kondom für Safer Sex“ — besonders strapazierfähig. Gleich am Eingang von Halle 13b empfängt mich feuchtheiße Luft und beißender Gummigeruch. Schwefel, Zinkoxyd und Ammoniak dringen leicht ätzend in die Nasenschleimhäute. „Daran haben sich hier alle gewöhnt“, versichert Martin Pellegrino, Abteilungsleiter der Halle. „Außerdem liegt die Luftbelastung weit unter der Norm.“ Vor rund 20 Jahren, als er bei Mapa noch Maschinenschlosser war, sei der Gestank wesentlich schlimmer gewesen. Damals wurde der Rohgummi noch mit Benzin aufgelöst.

Vorbei an Frauen, die Quietsch-Enten bemalen oder mit Schläuchen hantieren, führt mich Pellegrino zu seinem „Heiligtum“, das die gesamte rechte Wandseite einnimmt: die 60 Meter lange, vollautomatische Kondommaschine. Grün und zweietagig steht sie auf dürren Eisenfüßen und verbreitet schwüle Hitze, zwischen 60 und 100 Grad. Ein Zuarbeiter reicht aus, um sie mit dem Nötigen zu versorgen und die 1.500 Glaspenisse in Bewegung zu halten. 30 Zentimeter sind sie lang, der Nippel an der Spitze etwa zwei Zentimeter. Durch ein unsichtbares Band miteinander verknüpft, gleiten die Riesenpenisse, sich unaufhörlich drehend, lautlos auf einer Endloschleife zwischen erster und zweiter Etage — mal in waagerechter, mal in senkrechter Stellung. 15 Minuten lang dauert es, bis aus der weißen Gummimilch ein hautfarbenes Kondom wird. In dieser Zeit muß die Glasform zweimal in die Flüssigkeit getaucht, dann getrocknet, schließlich abgestreift und gewaschen werden.

Neben einer solchen Anzahl von Phallussymbolen müßte Mann sich doch bestätigt fühlen? Pellegrino grinst, bemüht sich dann aber gleich, wieder sachlich zu sein. „Seit ich hier arbeite, hat sich meine Einstellung zu Sexualität und Verhütung völlig geändert“, sagt er, betont locker. Er könne inzwischen viel offener darüber reden. Kondome zu nehmen, das sei doch das Natürlichste der Welt. Ob er sie selbst benutze, das will Pellegrino allerdings für sich behalten. Dennoch behauptet er: „Die Präsis sind kein Tabuthema mehr, die würde ich auch meinem Sohn geben. Ich weiß ja, auf unsere Präsis kann man sich verlassen. Die sind doppelt getaucht.“ Dabei zeigt er auf die beiden mit milchiger Flüssigkeit gefüllten, länglichen Becken. Mit Händen und Füßen, das italienische Temperament hat er von seinen Vorfahren geerbt, erklärt Pellegrino, wie's geht: 4.040mal pro Stunde senken sich die Glaskolben an einer nach unten strebenden S-Kurve entlang in die Tauchbecken. Beim Auftauchen haben sie eine schmucke weiße Haut aus Rohlatex, 60 Prozent davon sind südostasiatisches Gummi. Bevor sich aber das „Naturprodukt mit den phantastischen Eigenschaften“ gleichmäßig an die Glasform schmiegen kann, muß es, zusammen mit diversen chemischen Zusätzen, 12 Tage lang in 800-Liter-Tanks „reifen“.

Den Rohlatex, der dabei entsteht, könnte man von weitem mit Vollmilch verwechseln. Diplomingenieur Dieter Wolff, der für die richtige Mischung verantwortlich ist, hat dafür auch gleich die wissenschaftliche Erklärung parat. Beide Flüssigkeiten seien sich nämlich nicht nur äußerlich, sondern auch „rein chemisch“ überaus ähnlich. „Der einzige Unterschied ist, daß bei der Kuhmilch die Grundsubstanz aus Fett, bei der Gummimilch dagegen aus Gummi besteht“, erklärt Wolff und freut sich über sein „vielseitiges Naturprodukt, daß immer wieder anders ausfällt“. Bis heute habe es niemand geschafft, eine solche Flüssigkeit künstlich herzustellen. Er taucht Zeigefinger und Daumen in den Rohlatex und reibt sie dann aneinander. Es entstehen elastische Krümmel, die durch die Reibungswärme durchsichtig geworden sind — reiner Kautschuk.

Ähnlich ergeht es den weißen Häuten auf den Glaskolben. Deren Farbe verändert sich allerdings gleich mehrere Male. Nach dem Durchschweben der dampfbeheizten Trockenschränke ist die 0,0089 Milimeter dicke Gummihaut fleischfarben und durchsichtig, beim Spülen im schaumfreien Seifenwasser erneut weiß.

Doch bevor alle 4.040 Rohlinge vulkanisiert werden und in einer Art Kondomsuppe landen, friemeln wilddrehende Bürsten den festen Gummiring, der wohl später so manchem bei Gebrauch aus den zitternden Händen gleiten wird. Nach dem Trocknen in der zweiten Etage wird die „zweite Haut für den Mann“ von Druckdüsen ins Wasserbecken gespült. Ein Griff in die Gummibrühe ist erlaubt. Die feuchte Masse ist heiß und glitschig.

Auch Martin Pellegrino behält sich ab und zu einen testenden Eingriff in die Produktion vor. Mit geübter Bewegung streift seine rechte Hand einen der weißen „Präsis“ vom Glaskolben und verhindert damit das Seifenbad. Mit seinen fleischigen Fingern quält er das Gummi. „Ob der Rand und die Wandstärke stimmen, das habe ich inzwischen im Gefühl“, sagt er und holt sich gleich noch ein Exemplar. „Wenn nicht, muß die Mischung verändert werden.“ Gleich neben dem Spülbecken steht ein grüner Eimer mit mißglückten Exemplaren, zerrissene Häute, einzelne Fetzen — Kautschuksalat.

Doch noch weitere Torturen stehen den HT-Spezials im Nachbarraum bevor: ein Schleuderbad mit Puderzusatz in einem sich drehenden Plastikfaß und zwei Trockendurchgänge in Metallkästen — Prinzip Waschmaschine. Bei der letzten zweieinhalbstündigen Trocknung in 90 Grad Hitze polieren sich die Kondome durch Aneinanderreiben selbst. Jetzt sind sie endlich so, wie Mann und Frau sie kennen, transparent und fleischfarben. Nach insgesamt drei Stunden präsentieren sich die HT-Spezials nun auf Metallsieben in voller Din-Größe — 180*51*0,089 Millimeter. Schließlich ist es die letzte Gelegenheit, bevor jeder von ihnen elektronisch auf Löcher überprüft und dann in einer schneckenförmigen Maschine zwischen zwei Folienhälften gepreßt wird.

Und wie sieht es mit der Kondomfreudigkeit der Mitarbeiter bei der allmonatlichen Verteilung der Firmenprodukte aus? „Also ich bin noch nie dort gewesen“, gibt Ingenieur Dieter Wolff zu. Grundsätzlich vertraut er aber „seinem Produkt“, dessen Qualität er ja schließlich am besten kenne. Auch Produktions- Manager Horst Sempert, ständig mit der Anpreisung der Sicherheit von Mapa-Kondomen beschäftigt, kommt „leider“ nicht in den Genuß der eigenen Ware: „Wenn meine Frau sagt, sie nimmt lieber die Pille, hat man halt nie Gelegenheit.“

Wie viele Mitarbeiter allmonatlich „in die große Kiste“ greifen, weiß keiner ganz genau. „Da nimmt sich jeder nach Bedarf“, lacht Wolfgang Schneider vom Betriebsrat, der die Verteilung organisiert. „Mal werden 10, mal 30 oder 50 genommen. Wir gucken da nicht so hin, weil es doch vielen peinlich ist.“ Die meisten Verhüterli würden allerdings von den jungen Frauen geholt. Schneider: „Offensichtlich sind die Männer zu bequem dazu, sich mit Kondomen auszustatten.“ Birgit Ziegenhagen