Die Leder-Amazone und der Gentleman

„Mit Schirm, Charme und Melone“ ab heute unverschlüsselt auf Premiere, 12 und 19.20 Uhr  ■ Von Harald Keller

Ob Catsuits, Leggins oder kniehohe Stiefel — all das, was die Konfektionäre gegenwärtig in die Sommerschlußverkaufshallen karren, scheint inspiriert von den Kostümen einer der besten Fernsehserien, die je vom Kathodenstrahl erfaßt wurden: The Avengers (Mit Schirm, Charme und Melone). Die praktische Nahkampfmode, eine Augenweide für LederfetischistInnen, geht zurück auf den Modeschöpfer Michael Whitthaker. Er entwarf die Garderobe für Cathy Gale, John Steeds erste Partnerin. Deren Darstellerin Honor Blackman war Kradmelderin gewesen, konnte mit Waffen umgehen und benötigte als geübte Judosportlerin kein Double, um ihre Widersacher auf den Boden der Tatsachen zu zwingen. Sie sah in der Figur der Cathy Gale die „erste Feministin in einer Fernsehserie, die erste Frau, die zurückschlägt“. Seit 1962 bildete sie ein Team mit Patrick Macnee, der zunächst an der Seite des ursprünglichen Hauptdarstellers Ian Hendry gegen Schwerverbrecher vorgangen war, damals noch im ordinären Trenchcoat. Erst nach Ian Hendrys Ausscheiden entwickelten die Avengers-Autoren jene absonderlichen Spezifika, die am trefflichsten mit dem angelsächsischen Begriff „sophisticated“ beschrieben sind. Honor Blackman stieg 1964 aus, um sich ihrer Filmkarriere zu widmen — sie spielte unter anderem die Pussy Galore in dem James-Bond-Abenteuer Goldfinger — und machte damit Pläne für einen aufwendigen The Avengers-Kinofilm sowie eine Musicalversion zunichte.

Die Produzenten taten sich schwer, eine Darstellerin zu finden, die dem Namen der neuen Figur Emma Peel, eine Paraphrase auf „man appeal“, gerecht zu werden vermochte. Durch Zufall wurde man auf die 28jährige Diana Rigg aufmerksam, eine Theaterschaupielerin aus den Reihen der Royal Shakespeare Company. Sie harmonierte glänzend mit Macnee — die optisch so gegensätzlichen Figuren, der distinguierte Eton-Absolvent und die geschmeidige Karatelady, formierten sich zum Traumpaar, auch hinter der Kamera, denn die berühmten „tongue-in-cheek“-Dialoge schrieben sich die beiden mit Einwilligung der Autoren selbst. Der 1922 geborene Patrick Macnee hatte den Part des John Steed anfangs nur wiederwillig angenommen. Er konnte bereits auf eine ansehnliche Filmographie zurückblicken, darunter einige Hollywood-Western. Zurück in England, wechselte er das Metier und betätigte sich als Produzent. Für das Fernsehen erstellte er eine Dokumentarserie nach den Memoiren Winston Churchills. Das Angebot, neben Ian Hendry die zweite Nebenrolle in einer Krimiserie zu übernehmen, reizte ihn zwar, hätte sich aber schlecht mit seiner neuen Profession vertragen. Macnee ließ das Schicksal entscheiden: Er verlangte eine für damalige Verhältnisse unverschämt hohe Gage — und bekam sie, zu seiner eigenen Verwunderung. Wie sich zeigen sollte, konnte er in seiner neuen Dauerstellung die schaupielerische Arbeit mit der inhaltlichen verbinden. So gehen der noble Gentleman-Look— die Ausführung oblag Pierre Cardin — und der kultivierte Habitus des stilbewußten John Steed maßgeblich auf Macnees Vorschläge zurück. Steeds neue Begleiterin hatte weichere Gesichtszüge als die etwas herbe Cathy Gale und konnte sehr charmant sein, aber das war Camouflage — per Handkantenschlag wurden ganze Gesichtszüge neu formatiert, sofern sich deren Inhaber tätlicher Angriffe nicht enthalten mochten. Emmas von John Bates kreierte Kleidung verweist auf den Cathy-Gale-Stil, war aber moderner. Von vornherein plante man den En-gros-Verkauf der Avengers-Kollektion, die erstmals im August 1965 im Rahmen einer Modenschau vorgestellt wurde. Ab 1967 wurde die Serie in Farbe gedreht, und Emma bekam ein neues, weniger strenges Outfit, das Alun Hughes entwarf. Nach fünf Staffeln reichte Diana Rigg 1968 ihren Abschied ein — er markierte das Ende einer Ära. Nicht nur bekam Steed wieder einmal eine neue Mitarbeiterin (Linda Thorson als Tara King), auch das bewährte Produktionsteam Brian Clemens und Albert Fennell wurde entlassen. Zwar holte man sie alsbald reumütig zurück, doch fanden weder Darsteller noch Autoren jemals wieder zur früheren Klasse. Zudem wurde die Serie in den USA nun zeitgleich mit einer populären Comedy-Show gesendet. Die Einschaltquoten fielen, und die Amerikaner stiegen als Co- Produzenten aus; die Verantwortlichen bei Thames Television fürchteten, die Kosten der Serie ohne US- Beteiligung nicht mehr tragen zu können, und stellten die Produktion ein. Dank regelmäßiger Wiederholungen erfreuen sich die alten Staffeln nach wie vor großer Beliebtheit, während die Jahre später entstandenen New Avengers besser vom Mantel des Vergessens umhüllt bleiben. Premiere zeigt ab heute werktäglich 46 Folgen des Serienklassikers.