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PORTRAITKatholisch, streitbar und Lebensschützerin

■ Hanna Suchocka von der Demokratischen Union soll erste Frau an der Spitze einer polnischen Regierung werden

Warschau (taz) — Als die Demokratische Union am Freitag abend zum ersten Mal die Kandidatur von Hanna Suchocka aufs Tapet brachte und sich bis auf das Zentrum alle — auch die weit rechts stehenden Christnationalen — einverstanden erklärten, da war die 46jährige Rechtswissenschaftlerin gerade in London. Völlig überrascht buchte sie den nächsten Rückflug und landete am Samstag nachmittag in Warschau, wo sie von Blitzlichtgewitter und laufenden Fernsehkameras empfangen wurde.

Das polnische Fernsehen machte sie in staatstragendem Übereifer schon zur Kandidatin aller, obwohl die Delegation des Zentrums gerade einmal wieder aus Protest den Verhandlungssaal verlassen hatte. Die Kameraleute belagerten die Räume der Demokratischen Union mit der Begründung: „Die Frau Premierministerin ist da drin.“

Daß Hanna Suchocka, ledige Posenerin aus einer Pharmazeutenfamilie, so schnell die Zustimmung der meisten Parteien fand, hängt vor allem damit zusammen, daß sie ein ausgesprochen untypisches Mitglied der Demokratischen Union ist, der sie bereits mehrmals die Fraktionsdisziplin aufgekündigt hat.

So stimmte sie gegen Waldemar Pawlak als Premierminister und gegen die Pläne ihrer Parteiführung, mit Liberalen und Bauernpartei eine Regierung zu bilden, die auf die ehemaligen Kommunisten angewiesen gewesen wäre. Schon zuvor hatte sie ihren Namen unter das umstrittene, restriktive neue Abtreibungsgesetz gesetzt, das seither vor allem von Christnationalen, Zentrum und der katholischen Kirche forciert wird.

Hanna Suchocka stammt aus einer erzkatholischen Familie, seit 1982 hält sie an der Lubliner Katholischen Universität Vorlesungen über Verfassungsrecht. In einem Posener kirchlichen Institut doziert sie über Emigrationsrecht. Daß sie auch engagierte Lebensschützerin ist, dürfte sie besonders den Christnationalen sympathisch gemacht haben.

Unter ihren Kollegen gilt Hanna Suchocka, die in einer Innenstadtwohnung in Poznan lebt, als außerordentlich sachlich und fleißig. Besonders Abgeordnete der deutschen Minderheit äußern sich positiv über sie — seit 1989 ist sie Mitglied des Minderheitenausschusses und hat sich den Ruf einer in Minderheitenfragen sehr liberalen Politikerin erworben. Während ihrer wissenschaftlichen Karriere nahm sie unter anderem an Menschenrechtsseminaren in Straßburg und Heidelberg teil.

Abgeordnete ist Suchocka bereits seit 1980, als sie als Mitglied der Blockpartei „Demokratische Partei“ gewählt wurde. 1981 stimmte sie gegen die Einführung des Kriegszustandes und das Verbot der Solidarność. Ein Parteigericht suspendierte deshalb ihre Mitgliedschaft. Drei Jahre später trat sie dann ganz der Blockpartei aus, um leichter gegen die wenig demokratische Kommunalwahlordnung von 1984 protestieren zu können. Seit 1980 arbeitete Hanna Suchocka zugleich mit der ab 1982 verbotenen Gewerkschaft Solidarność zusammen. Nach dem Runden Tisch im Jahr 1989 stellte Solidarność sie wieder auf. In Posen gewann Suchocka damals fast 72 Prozent der abgegebenen Stimmen. Zwei Jahre später zog sie für die Demokratische Union wieder ins Parlament ein.

In ihrer Partei tat sich die Kandidatin für den Regierungsvorsitz seither wenig hervor, was auch damit zusammenhängt, daß sie als Chefin der polnischen Delegation im Europarat häufig im Ausland weilte.

Für die führenden Köpfe der Demokratischen Union, Jacek Kuron, Aleksander Hall, Tadeusz Mazowiecki und Bronislaw Geremek, deren Premierambitionen damit schwere Rückschläge erlitten haben, dürfte Suchockas Kandidatur nur schwer verdaulich sein. Auch gegen sie wird sie sich durchsetzen müssen. Das zeigt einmal mehr, daß aufgrund der Parteienzersplitterung in Polen für Führungsposten weniger profilierte ParteipolitikerInnen als über den Parteigrenzen stehende KompromißkandidatInnen gefragt sind. Klaus Bachmann

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