Die polnische Regierung bekommt eine Chefin

Hanna Suchocka von der Demokratischen Union wird neue Ministerpräsidentin/ Wichtige Kabinettsfragen noch ungelöst/ Zentrum stellt sich quer/ Zustandekommen der großen Solidarność-Koalition gilt als sicher/ Bush auf Stippvisite in Warschau  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Zum ersten Mal in der polnischen Geschichte wird die Regierung des Landes von einer Frau geleitet werden. In den späten Abendstunden des Samstags einigten sich die insgesamt acht an den Koalitionsverhandlungen beteiligten Parteien darauf, Präsident Lech Walesa Hanna Suchocka, Abgeordnete der Demokratischen Union, als Kandidatin für das Amt der Premierministerin vorzuschlagen. Die Demokratische Union ist die stärkste Fraktion im Parlament.

Fast bis zum Schluß hatte sich allerdings die Zentrumsallianz dagegengestellt und verlangt, einen Kandidaten aus ihren Reihen oder denen der Bauernverständigung zu nominieren. Das Zentrum verließ mehrmals unter Protest die Verhandlungen, kehrte allerdings jedesmal wieder an den Verhandlungstisch zurück. Besonders kontrovers und bis jetzt auch noch ungeklärt ist die Frage der Besetzung des Innenministeriums und des Außenhandelsministeriums. Letzteres reklamiert Zentrum für ihren bisherigen Außenhandelsminister Glapinski, der allerdings wegen seiner bisherigen Politik bei den anderen Parteien sehr umstritten ist.

Die Aufteilung der Kabinettsposten erfolgte bisher nicht zwischen den acht beteiligten Parteien, die im polnischen Parlament über eine knappe Mehrheit verfügen. Sie wird statt dessen zwischen der sogenannten „Kleinen Koalition“ aus Union, Liberalen und Wirtschaftspartei einerseits sowie der „Fünferkoalition“ aus Zentrum, Christnationalen, Bauernverständigung und zwei kleineren christdemokratischen Parteien andererseits ausgehandelt. Dem Vernehmen nach soll die Mehrzahl der Wirtschaftsressorts in die Hände der Kleinen Koalition kommen, als Gegengewicht zur Premierministerin sollen die fünf dagegen zwei Vizepremierposten bekommen. Außenminister Skubiszewski soll seinen Posten behalten.

Einigung nach einem Ultimatum Walesas

Zu den Verhandlungen zwischen den insgesamt acht der Solidarność-Bewegung entstammenden Parteien war es gekommen, nachdem Polens noch amtierender Premier Waldemar Pawlak am Freitag alle Versuche, eine Regierung zu bilden, aufgegeben hatte. Daraufhin hatte Präsident Walesa den Parteien im Parlament ein Ultimatum auferlegt. Wenn sie nicht bis Samstag imstande seien, ihm einen neuen Premier vorzuschlagen, werde er selbst Premier und Regierung nominieren. Nach einem 18stündigen Verhandlungsmarathon hatten sich Demokratische Union, Liberale, Christnationale, Zentrum, Bauernverständigung und einige kleinere Gruppierungen dann auf die grundsätzliche Postenverteilung, die Regierungschefin und die wichtigsten Programmpunkte geeinigt. Die neue Acht-Parteien-Koalition hat allein noch keine absolute Mehrheit, kann allerdings auf die Unterstützung der Gewerkschaft Solidarność, der deutschen Minderheit und Teilen der Linken rechnen. Damit entsteht insgesamt so eine recht stabile Lage, falls sich die Parteien nicht noch über einige Details erneut zerstreiten. Bis Suchocka dann endgültig Premierministerin sein wird, dürften allerdings noch mehrere Tage vergehen. Zunächst muß Polens bisheriger Premier Pawlak noch abgewählt werden, dann muß Walesa die 46jährige Rechtswissenschaftlerin formell nominieren und der Sejm darüber abstimmen. Ähnlich wie in den USA werden dann die einzelnen Ministerkandidaten in den Ausschüssen verhört und danach vom Parlament bestätigt.

In Warschau traf gestern US-Präsident George Bush zu einem Kurzbesuch ein, ehe er nach München zum G-7-Gipfel weiterreiste. Zunächst traf Bush mit Walesa und danach mit Noch-Ministerpräsident Pawlak zusammen. Nach Angaben US-amerikanischer Regierungsvertreter wollte Bush seinen polnischen Gesprächspartnern mitteilen, daß die USA bereit seien, den 1989 von den Industrieländern gebildeten und nie benutzten Zloty-Stabilisationsfonds zu verwenden, um der polnischen Privatwirtschaft zu helfen.

Im Laufe der Stippvisite nahmen Bush und seine Frau Barbara auch an der feierlichen Beisetzung der sterblichen Überreste des ersten polnischen Regierungschefs Jan Ignacy Paderewski teil, der 1941 in New York gestorben war. Der Kommunist und Pianist Paderewski war zunächst auf dem US-Nationalfriedhof in Arlington beerdigt worden, wurde aber am 29. Juni nach Warschau überführt, wie es die US-Präsidenten seit Franklin Roosevelt immer wieder zugesagt hatten. Roosevelt hatte damals versichert, die sterbliche Hülle des polnischen Nationalhelden sollte in seine Heimat zurückkehren, sobald diese „frei“ sei.