KOMMENTAR
: Keine Opferhaltung

■ Oberbaumbrücke: Verkehrspolitik heißt Gegenwehr

Glücklicherweise unterscheidet das Zeltlager auf der Oberbaumbrücke sich von der Blockade der Hamburger Stresemannstraße. Dort trieb erst der sinnlose Tod eines Kindes, geopfert einer bewußtlosen Vorrangpolitik für das Automobil, die Menschen auf die Straße. An der Oberbaumbrücke dagegen ist der Startschuß für das wahnsinnige Karussell namens Innenstadtring noch nicht gefallen, die zurückgelassene Wunde des heißen und kalten Kriegs noch Bremsklotz. Die Menschen hier haben gelernt; sie wehren sich heute gegen ihre Rolle als Opfer von morgen. Menschengerechte Verkehrspolitik heißt vor allem Gegenwehr in einer Zeit, in der Berlin hauptstadtfähig gemacht wird und dezentrale, bezirkliche Kompetenzen beim Verkehr zerschlagen werden zugunsten zentral vorangetriebener Magistralen. An der Oberbaumbrücke wird deutlich, daß die politisch Verantwortlichen den Nahverkehr hintanstellen und gewillt sind, die Stadt weiterhin dem Verkehr auszuliefern. Deswegen bleibt nur, auf die eigene Kraft zu vertrauen und aus der Rolle des Kaninchens herauszukommen, das ängstlich auf die Verwaltung und deren Winkelzüge starrt. Das gilt für die Initiativen ebenso wie für die Kreuzberger oder Friedrichshainer Sozialdemokraten. Letztere wissen zu gut, daß sie wenig Vertrauen in jene GenossInnen setzen dürfen, die die Große Koalition zusammenhalten möchten. Die SPD im Abgeordnetenhaus muß so lange als verlogene Bande gelten, wie deren verkehrspolitische Sprecherin Zillbach — wie vor zehn Tagen gegenüber der taz geschehen — vollmundig gegen den Rückbau von »Tempo 30«-Straßen eintritt und zum selben Zeitpunkt dieser Maßnahme teilweise bereits zugestimmt hatte. Gerd Nowakowski