ÜBER ALLEN WELTGIPFELN IST RUH' Von Mathias Bröckers

Siebzehnmal seit 1975 trafen sich die Mächtigen der Welt zum Wirtschaftsgipfel, siebzehnmal wurde fürs Abschlußfoto posiert und siebzehnmal eigentlich nichts erreicht. So die 'Süddeutsche Zeitung‘ zum Auftakt des Münchner Gipfeltreffens — eine Einschätzung, die sie freilich nicht davon abhält, zu diesem Ereignis eine 20seitige Sonderbeilage zu veröffentlichen. Und, wie alle anderen Medien auch, in voller Breite darüber zu berichten: im Rückblick auf die vergangenen 17 und in der Vorausschau auf das 18. Null-Ereignis der Weltwirtschaft. Daß sich die Leute, so Helmut Schmidt 1975, „die auf der Welt wirklich etwas zu sagen haben“ — einmal im Jahr zur Abstimmung ihrer Wirtschaftspolitik zum „Kamingespräch“ treffen, gegen diese Idee mag ja nun wahrlich nichts einzuwenden sein. Schon nach dem Treffen 1978 allerdings konstatierte die Londoner 'Times‘ einen hohen Grad „moralischen, politischen und intellektuellen Bankrotts in der industrialisierten Welt“. Ein Kommentar, den man auch heute wieder aus dem Satzcomputer in die Leitartikel- Spalte übernehmen könnte — zum Umweltgipfel in Rio oder eben jetzt, zum Wirtschaftsgipfel in München. Und doch werden sie sich das nächste Mal wieder treffen, nicht trotz, sondern wegen dieser immer gleichen Kommentare: Wenn Wirtschaftsgipfel an der Weltökonomie wirklich etwas ändern würden, wären sie wahrscheinlich schon längst abgeschafft; nur weil sie so schön folgenlos sind, finden sie weiterhin statt.

Jungminister Jürgen Möllemann erinnert sich an seinen ersten Gipfel letztes Jahr in London: „Da saßen wir nun in der mächtigen Runde der Regierungschefs am runden Tisch, 50 Kilometer von Tausenden Journalisten entfernt, und wußten uns in der ersten Plenarsitzung nichts zu sagen.“ Erst als Japans Präsident Kaifu begann, einige Fotos von seinen Kollegen zu knipsen, so Möllemann, taute die Stimmung etwas auf. Stell Dir vor, es ist Weltgipfel, und alles ist so, wie der kleine Moritz es sich denkt: man sitzt in steifer Runde, guckt bedeutungsschwere Löcher in die Luft und in die Kaffeetassen, scharrt verlegen mit den Füssen... Endlich, als der reiche Onkel den neuen Fotoapparat zückt, reißt die joviale Tante Kohl ein Witzchen, Großtante Mitterrand beginnt gnädig zu grinsen, und die kleinen Möllemänner wagen ein Kichern. Wen wundert es da noch, daß die Kommuniqués zu diesen Kaffeekränzchen vorher abgefaßt sein, die Ergebnisse des „Welt-Ereignisses“ im voraus feststehen müssen. Diese Runde wäre nicht einmal in der Lage, ein Kreuzworträtsel zu lösen.

Vielleicht sorgt ja der Ehrengast Boris Jelzin dieses Mal für etwas Stimmung auf dem Familientreffen. Nicht weil er als trinkfreudige Kanone gilt und einspringen könnte, wenn die Kameranummer nicht mehr zieht, sondern weil er die Herrschaften tatsächlich einmal mit der Basis konfrontieren könnte: einer ruinösen Weltwirtschaft am Beispiel Rußlands.

Selbst auf die Gefahr hin, beim nächsten Mal nicht mehr eingeladen zu werden — damit über allen Weltgipfeln weiterhin Ruh' ist und es nur zu keinen radikalen Änderungen kommt. Wenn solche ins Haus stehen, dann droht man, wie George Bush unlängst demonstrierte, einfach damit, zu Hause zu bleiben. Insofern werden globale Kaffeekränzchen wie dieser Gipfel erst dann wieder wirklich Folgen haben, wenn der eine oder andere Onkel schon im Vorfeld beleidigt abgesagt hat...